Neuer Star des Jazz:Jammen mit Snoop Dogg

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Jazz aus dem Ghetto: Tenorsaxofonist Kamasi Washington. (Foto: Ralf Dombrowski)

Kraftakt für Körper und Geist: Kamasi Washington bricht mit verkopften Traditionen und öffnet den Jazz für Uneingeweihte. Gerade tourt er durch Europa - eine Begegnung.

Von Andrian Kreye

Am Ende des langen Abends in der Münchner Unterfahrt beantworten der Saxofonist Kamasi Washington und seine Band die Frage, ob sie die unfassbaren Erwartungen an sie auch einlösen können, innerhalb von zwei Minuten mit einem Kraftakt.

In diesem Augenblick sind eigentlich alle schon erschöpft: die Musiker, die gerade zwei Konzerte hintereinander gegeben haben und seit Wochen durch Europa unterwegs sind, zu zehnt in einem dieser Tourbusse, die von außen sehr beeindruckend sind und von innen so gastlich wie ein U-Boot. Und das Publikum, das es nicht gewohnt ist, dass in einem Jazzkellergewölbe nicht nur die Lautstärke eines Heavy-Metal-Konzerts produziert wird, sondern auch das Energielevel.

Die beiden Schlagzeuger wirken wie Nitroeinspritzungen beim Rennwagen

Was in diesem Fall noch anstrengender ist, weil man sich bei Kamasi Washingtons Musik im Gegensatz zum Metal nicht einfach wohlig dem Lärmpolster von Powerchords hingeben kann, sondern dauerhaft mit einer Musik konfrontiert wird, die vom Spiritual Jazz bis zum Soul viel Musikgeschichte zu enormen Energiestößen komprimiert, bei denen die Doppelbesetzung mit zwei Schlagzeugern wirkt wie Nitroeinspritzungen beim Rennwagen.

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Aber dann geht die Band eben zur Zugabe noch einmal in Position. Kamasi Washington übernimmt mit seinem muskulösen Tenorsaxofon die Führung in einem Thema, das mit harten Unisono-Akzenten der acht Musiker durch ein geradliniges Motiv ins Brachiale überleitet.

Mit dem Kraftakt kommt man einer Erklärung dafür näher, dass diesen Mann eher die Menschen mögen, die mit Jazz sonst nichts anfangen können, und warum er den Jazzauskennern eher verdächtig ist. Formal ist Kamasi Washingtons Musik eher traditionell. Alleine durch die Besetzung mit Bläsern, Keyboards, Kontrabass und den beiden Schlagzeugern, die den Rhythmus trotz der Kraftausbrüche auf der Snare Drum eben doch eher auf den Becken als auf den großen Trommeln herausarbeiten.

Washingtons Dreifach-Album "The Epic" kam aus dem Nichts

Das Grundgerüst der Stücke orientiert sich klar an der Phase der Sechzigerjahre, als Charles Mingus und Gil Evans das durchkomponierte Arrangement perfektionierten und gleichzeitig Saxofonisten wie Paroah Sanders und Albert Ayler archaische Musikformen als Hebel nutzten, um die musikalischen Gerüste des Modern Jazz aufzubrechen.

Im Mai dieses Jahres war der 34-jährige Washington mit seinem Dreifachalbum "The Epic" quasi aus dem Nichts von Los Angeles aufgetaucht. Bis dahin hatte er seine musikalische Laufbahn eher unauffällig verbracht, in den Begleitbands von Hip-Hop-Stars wie Snoop Dogg, Nas und Kendrick Lamar, als Sideman für die großen Markennamen des Jazz wie Herbie Hancock, Freddie Hubbard oder George Duke.

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Das hätte man eben gerade nicht vermutet, in South Central L. A. und Inglewood: Der Tenorsaxofonist Kamasi Washington legt mit "The Epic" ein Jazz-Album vor, das seinen Namen verdient.

Von Andrian Kreye

"The Epic" war so erstaunlich, weil das Album über drei Stunden lang keinen schwachen Moment zeigte. Und es war ein Aufbruch. Nicht zu neuen Ufern der Avantgarde, sondern in eine Phase, in der sich der Jazz einer unübersichtlichen Gegenwart verpflichtet, in der Hip-Hop oft die innovative Rolle übernimmt.

Die Erwartungshaltungen hatten sich dann über den Sommer in jene Höhen gesteigert, die einen Musiker schnell die Karriere kosten können. Die ersten Zweifler fanden sich rasch. Man kann es ihnen nicht verübeln. Intensives Jazzhören hat oft einen intellektuellen Kern, der eher den Vergleichenden Literaturwissenschaften als dem Fantum des Pop verwandt ist. Weil der Jazz mit seinen asketischen Klangbildern immer schon mit Zitaten und Variationen arbeitete, zieht man instinktiv Verbindungslinien. Und da landet man bei Kamasi Washington oft in Kapiteln der Jazzgeschichte, die ungern zum Kanon gezählt werden.

Bei den Chor- und Orchesterarrangements auf dem Album kann man sich zum Beispiel die Frage stellen, ob sie sich eher auf Meisterwerke der Sechziger wie Mary Lou Williams' "Black Christ of the Andes" und Donald Byrds "A New Perspective" beziehen, oder auf die wattigen Hollywood-Filmmusiken aus dieser Zeit. Live stößt einen die Bläserfront mit Washingtons Saxofon und der Posaune von Ryan Porter auf die späten Crusaders, die im Jazzkanon eher die Ausverkaufsrolle spielen. Und dann ist da eben dieser unerklärliche Sog, den die Musik auf Uneingeweihte ausübt.

Jazz als Bollwerk gegen die Realitäten des Ghettos

Den kann Kamasi Washington beim Treffen in München übrigens sehr gut erklären. Er nimmt sich Zeit dafür, wiegt seinen Kopf über dem rundlichen Torso, der in den Jacken aus malinesischen Bogolantüchern nicht massig, sondern mächtig wirkt. Wie ein Wissenschaftler entschlüsselt er das Geheimnis der musikalischen DNA. Die formierte sich in der frühen Kindheit. Mit ungefähr drei begann er, Hip-Hop zu hören. Gleichzeitig liefen daheim all die großen Platten des Jazz und des Soul, die sein Vater hörte, der als Musiklehrer an öffentlichen Schulen unterrichtet. Mit neun stießen Kamasi und seine Freunde auf Lee Morgan und Art Blakey. Bald war der Jazz eine Art Bollwerk gegen die Realitäten des Ghettos, in dem sie ja lebten, auch wenn ihre Eltern als Musiker und Lehrer arbeiteten.

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"Als wir dann selbst anfingen, Jazz zu spielen, haben wir diese Mikrokonsistenzen aus dem Groove des Hip-Hop herausgehört, die sie an der Westküste auf dem Akai-MPC-Schlagzeugcomputer programmierten. Wie sie die Beats rund um den Taktschlag herummodellierten, wie sich Intonationen verbiegen." Ganz direkt ist vom Hip-Hop in Kamasi Washingtons Musik nichts zu hören. "Der spielt eben nur eine subtile Rolle bei mir. Das sind diese untergründigen Mikroelemente, die im Groove implantiert sind." Genau die aber wirken im Unterbewusstsein der Hörer. Wenn die mit Hip-Hop aufgewachsen sind, entsteht so eine musikalische Vertrauensebene, die man nicht einfach erklären, sondern nur spüren kann. Im Tagesgeschäft brachte ihm das ja dann auch die Jobs bei den Hip-Hop-Stars ein.

In Washingtons Band multipliziert sich diese subkutane Musikalität dann noch einmal. Die Musiker haben nämlich nicht über die Musik zueinander gefunden. Sie kennen sich seit eben dieser frühen Kindheit, in der sie gemeinsam Hip-Hop hörten. Den Schlagzeuger Ronald Bruner Jr. lernte Washington an seinem dritten Geburtstag kennen. Dessen Vater war Schlagzeuger für Diana Ross und die Temptations und machte mit Washingtons Vater Musik. Bruners Bruder Stephen wiederum ist unter dem Künstlername Thundercat Washingtons Produzent und zweiter Bassist. Und mit dem Keyboarder Brandon Coleman machte er seit der Schulzeit Musik. Fünfzehn Freunde waren sie damals, die heute das lose Kollektiv West Coast Get Down bilden.

Auf der Bühne denkt ein Geist für mehrere Musiker

Das ist noch so eine Stärke in Washingtons Musik. Musiker, die gemeinsam aufgewachsen sind und später gemeinsam spielen, gibt es im Jazz so gut wie nie. Washington und seine Freunde können mit dieser langen Gemeinsamkeit etwas ausspielen, für das andere Musiker sehr lange arbeiten müssen. Das ist diese telepathische Fähigkeit, beim Livespielen Ideen so gleichzeitig zu entwickeln, dass der Zuhörer den Eindruck bekommt, da denkt ein Geist für mehrere Musiker.

Bei West Coast Get Down funktioniert das dann eben nicht auf einer virtuosen Ebene, sondern ähnlich wie bei Familien und alten Ehepaaren, die die Sätze der anderen automatisch ergänzen können. "Wir haben ein gemeinsames Vokabular", sagt Washington. "Wir sind da eher wie ein Rudel als wie eine Band."

"The Epic" war nun lediglich ein Anfang. Für die Aufnahmen hatten sie sich im letzten Winter einen ganzen Monat freigenommen. 190 Stücke entstanden dabei. Washingtons Mammutalbum war das erste aus dieser Session. Die anderen Musiker haben sieben weitere Alben fertig. Und nein, sie werden den Jazz nicht erneuern. Aber sie werden ihn entscheidend öffnen.

© SZ vom 21.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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