Neue Internet-Währung:Und es hat klick gemacht

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"333 Fakten über Sex": Jeder Klick zählt, jeder Homepage-Besucher bringt Geld - theoretisch zumindest. Der Online-Markt sucht nach einer neuen Internet-Währung.

Simon Feldmer

Es gab abstrusere Anlässe für Bildergalerien im Netz, das steht fest. Ein dankbareres Opfer als den toten Michael Jackson bot sich den Machern der Onlineportale aber lange nicht mehr. Und so wurde am 25. Juni die Maschine angeworfen, um ein Leben nicht nur in Nachrufen, sondern auch in unzähligen Mutationen zu erzählen. Für bild.de durfte man sogar "mit Tusche, Kreide oder Buntstiften" den Popkönig malen und per E-Mail einschicken. Die Anregungen für die Jackson-Porträts lieferte - was sonst - eine Fotogalerie.

Jeder Klick zählt: Eins der Bilder aus der Bildergalerie "333 Fakten über Sex". (Foto: Foto: dpa)

"Möglichkeit einer differenzierteren Betrachtung"

Bilder über Bilder, Artikel, die sich über zehn Seiten schleppen, weil man nach drei Hauptsätzen schon weiter klicken muss, Sudoku, Wissenstests - der Ideenreichtum im Online-Journalismus scheint groß. Der Grund dafür ist einfach: Klicks bringen Geld, theoretisch zumindest. Denn jede Seite, die ein Internetbesucher aufruft, wird gezählt und ist deswegen vermarktbar. Doch die Online-Währung könnte sich ändern, ein bisschen zumindest.

In den Gremien der Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern (IVW) wird derzeit viel über Bildergalerien und Ähnliches diskutiert. Von einer "Weiterentwicklung des aktuellen Messverfahrens" spricht ein IVW-Sprecher. "Die Möglichkeit einer differenzierteren Betrachtung der Wettbewerber" solle am Ende dieser Diskussion stehen. Das klingt wolkig, aber vor klaren Aussagen drückt man sich noch, verweist auf laufende Gespräche und technische Hürden.

Im kommenden Monat will die IVW eine wichtige Entscheidung treffen. Anfang Dezember soll die Neuregelung dann kommen. Jürgen Sandhöfer, der als stellvertretender Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Online Forschung AGOF, einem Verbund führender Online-Vermarkter, bei der Ausgestaltung mitarbeitet, ist allerdings skeptisch: "Ich glaube, dass wir im Jahr 2010 weit kommen."

Ein Fortschritt in dem komplexen Messverfahren zeichnet sich ab: Die Bedeutung der sogenannten Page Impressions (PI) in der monatlichen IVW-Ausweisung soll deutlich reduziert werden. In den Vordergrund treten soll dafür die Messgröße "Visits" - sie zählt nur den einzelnen Besucher eines Internetangebots, nicht aber jeden von ihm angeklickten Text und jedes Foto in der Bildergalerie.

Bei der IVW denkt man inzwischen konkret über eine neue Themenliste nach, nach der Visits in Kategorien wie redaktioneller Inhalt, Spiele oder E-Commerce aufgeschlüsselt werden. Auch eine Unterscheidung zwischen Besuchen aus dem In- und Ausland ist im Gespräch. Doch wie auch immer das Feilschen um Kategorien und Definitionen am Ende ausgeht, eines klar ist:

Das Aufblasen von Portalen mit Extras wie Bildergalerien dürfte sich für die Anbieter bald nicht mehr so auszahlen wie bisher. Eher geht es in Zukunft darum, wie ein Besucher überhaupt auf eine Seite findet. Und wie lange er dort bleibt. Denn auch die Verweildauer, die "Use-Time", soll bei der Messung in Zukunft an Bedeutung gewinnen.

Seit 1997 erhebt die IVW, einst für die Auflagenkontrolle von Zeitungen und Zeitschriften ins Leben gerufen, auch im Online-Markt Daten. Wo Printverlage ihre Auflagen mit Bordverkäufen oder Freiexemplaren hochtreiben können, sind es im Internet die Page Impressions. Ein gewaltiges Schaulaufen hat sich in den vergangenen Jahren entwickelt. Als wesentlicher Förderer des Online-Dopings gelten bislang die Media-Agenturen, die für Werbekunden Budgets bündeln und verteilen. Sie verlangen von Werbeträgern häufig Garantiezahlen für Kampagnen. Wird die vereinbarte Zahl an Zugriffen dann verfehlt, werden Ausgleichszahlungen oder Freibuchungen fällig.

Hektische Ranglisten

Da eine Online-Kampagne auf einer führenden Nachrichtenseite bis zu 50 000 Euro abwirft, kann sich das Klickzahlen-Tuning durchaus lohnen. So führt das Rennen nicht nur zu Exzessen, in denen "333 Fakten über Sex" schon mal in 333 nacheinander geschalteten Bildern dargereicht werden, sondern auch zu hektischen Ranglisten der Auf- und Absteiger. Vor allem führt es aber zu einem Qualitätsproblem der Online-Presse. Denn es ist auch für unbedarfte Leser leicht zu durchschauen, wie stark die Werbeflächen im Netz von der möglichst attraktiven Aufmachung der Inhalte abhängig sind.

Um das Messverfahren auf die Höhe der Zeit zu bringen, drängen nun selbst auch die Media-Agenturen auf Veränderungen. Uli Kramer, Sprecher des Interessenverbandes führender Media-Agenturen FOMA, sagt: "Wir brauchen ergänzende Daten, die eine qualitative Bewertung des jeweiligen Angebotes zulassen." Eine Bildergalerie, die in wenigen Sekunden durchgeklickt werde, habe für bestimmte Kunden einen anderen Stellenwert als ein Leitartikel, vor dem ein Leser fünf Minuten sitze, so der Werbeplaner. Eine einfache Tatsache.

Im Online-Journalismus braucht sie, wenn alles gut läuft, nur noch einige Monate, um sich durchzusetzen.

© SZ vom 6.7.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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