Netzpolitik:Digitale Katerstimmung

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Die Internet-Gemeinde trifft sich auf der Berliner Konferenz Republica, schaut auf die Streiks und muss staunend feststellen: Traditionelle, angeblich angestaubte Interessenvertretungen wie Gewerkschaften bewirken mehr als jede Online-Petition.

Von Hannah Beitzer

Es ist ein netter Zufall, dass alles in eine Woche fällt: Die jüngste Streikwelle und die Digital-Konferenz Republica in Berlin. Die Streiks sind eine eindrucksvolle, wenn auch umstrittene Machtdemonstration der Gewerkschaften, die lange Zeit als angestaubt galten. Die Republica ist das wichtigste deutsche Treffen der sogenannten Netzgemeinde, die sich vor einigen Jahren schon auf dem richtigen Weg sah, neue Formen des Aktivismus zu entwickeln: Formen, die dem digitalen Zeitalter angemessener schienen als das, was etablierte Institutionen machten. Das Internet schien dafür das perfekte Instrument: Vernetzung, Information, Debatte, alles war möglich. Auf der Piratenpartei ruhte gar einige Zeit die Hoffnung, den digitalen Wandel im Schnellverfahren in die Parlamente bringen zu können.

Jetzt aber gibt sich die digitale Szene einem kollektiven Kater hin. Die Piraten? Haben es vergeigt. Online-Petitionen und Hashtag-Kampagnen? Bringen nichts. Die ewigen Diskussionen in den sozialen Netzwerken? Brennen nur aus. Dazu kamen Überwachungsskandale, die den Traum von einem freien, demokratischen Internet endgültig als naiv entlarvten.

Zu dieser Katerstimmung passt, dass Sascha Lobo, Deutschlands bekanntester Blogger, in diesem Jahr nicht seine traditionelle Rede auf der Republica hält. Er sei enttäuscht von der Passivität der Community, von ihrem Unwillen, sich eine Struktur zu geben, sagte er der Tech-Zeitschrift Wired. Dem schloss sich auch Christopher Lauer an, umstrittener Ex-Pirat, Berliner Abgeordneter und nunmehr Datenschutz-Berater des Springer-Konzerns. Netzaktivisten säßen in den wichtigen politischen Fragen nur "am Katzentisch", während die eigentlichen Entscheidungen in Parlamenten getroffen würden.

Man kann allerdings auch außerhalb der Parlamente Einfluss ausüben: bei den Gewerkschaften etwa. Diese haben machtvolle Instrumente, ihre Interessen durchzusetzen. Ein Streik, zeigt sich jetzt wieder, ist wirkungsvoller als eine Online-Petition.

Ein wichtiger Grund der Katerstimmung im Online-Aktivismus sind auch die übergroßen Erwartungen, die an seine Protagonisten gestellt wurden. Auch da hilft ein Blick in Richtung Gewerkschaften, die ihre Rechte auch nicht über Nacht bekommen haben, sondern jahrzehntelang erstritten haben. So wichtig wie spektakuläre, aber kurzfristige Erfolge sind dabei die vielen kleinen Schritte, die Beharrlichkeit, das ständige Ausjustieren der eigenen Position.

Die Berliner Republica-Konferenz hat sich bereits in diese Richtung bewegt. Die Floskel vom "Klassentreffen der Netzgemeinde" trifft acht Jahre nach der Gründung nicht mehr zu. Minister nehmen an der Tagung teil, Unternehmer und Journalisten. Für die Zukunft weist Sascha Lobos Ruf nach mehr Organisation und Struktur in die richtige Richtung. Dabei kann der Blick auf etablierte, nur scheinbar gestrige Interessenvertretungen wie die Gewerkschaften helfen.

© SZ vom 08.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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