Netz-Depeschen:Dies ist nicht mehr mein Haus

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Was einst als eines der größten Versprechen des Cyberspace galt, Urahn sozialer Netzwerke wie Myspace und Facebook, wurde nun von Yahoo abgeschaltet: Goecities wohnt hier nicht mehr.

M. Moorstedt

Im April 2009, als Tausende amerikanische Hausbesitzer plötzlich keine mehr waren, kündigte ein großer Konzern fast unbemerkt eine weitere Räumung an. Keine ganz so existentielle zwar, aber ein paar Millionen Betroffene gab es schon. Die meisten davon bekamen es jedoch vermutlich gar nicht mit. Nach 15 Jahren plante Yahoo seinen Dienst Geocities einzustellen. Am vergangenen Dienstag wurde nun abgeschaltet, was einmal als eines der größten Versprechen des Cyberspace galt. Geocities war der Urahn von sozialen Netzwerken wie Facebook oder Myspace.

Mit der Einführung von Geocities hatten auch technisch unkundige Nutzer, via HTML-Befehl und eines leicht zu bedienenden Editors, seinerzeit zum ersten Mal die Möglichkeit zur Selbstrepräsentation im Netz. In der Frühzeit des Internets gehörte der Dienst zu den zehn am meisten besuchten Websites weltweit.

Im Jahr 1999, kurz bevor der dotcom-Wahnsinn seinen Höhepunkt erreichte, übernahm ihn Yahoo für knapp dreieinhalb Milliarden Dollar. Doch die Nutzer blieben nicht lange treu - sie wanderten zu moderneren Web-Welten und Netzwerken ab. Und Geocities riss ein Loch in die Bilanzen seiner Besitzer. Zuletzt hatten sich zwischen den einst glitzernden Fassaden Spam-Accounts und Malware eingenistet: Ein Netz-Slum, scheinbar ewig konserviert auf den Servern von Yahoo.

Schon Anfang des Jahres gingen zwei Online-Welten ähnlich dem Rollenspiel "World of Warcraft" unter. Auch sie konnten ihre Bewohner nicht zum Bleiben bewegen. Den Tag der digitalen Apokalypse beging man sehr unterschiedlich. Während sich die einen in einer letzten epochalen Schlacht gegenübertraten, spazierten die anderen ruhig durch die Landschaft und fotografierten Screenshots ihrer Avatare. Ein Schicksal, vor dem auch andere Netzwerke nicht gefeit sein werden. Erst erodiert die Nutzerschaft, dann geht das Licht aus. Auch das einst gefeierte Second Life ist längst ziemlich leergefegt.

Nun hat es Geocities erwischt. Selbst aus dem Google Cache, dem sonst so unfehlbaren Gedächtnis der Suchmaschine, sind die Seiten verschwunden. Nichts bleibt zurück. Oder doch?

Vor einigen Monaten begann ein kleiner Kreis von Idealisten, ausgewählte Geocities-Homepages zu sichern. Die Internet-Archivare spiegelten einige Gigabytes auf anderen Servern. Auf archiveteam.org hat man sie nun konserviert. Zu sehen ist wenig Ästhetik und viel Netz-Trash, die Webseiten schienen damals meist aus grobpixeligen Gästebüchern und animierten Logos zu bestehen. Rätselhafte Dokumente aus der Frühzeit des Netzes.

Wer die alte Adresse aufruft, dem wird nüchtern mitgeteilt, dass der Geocities Service nicht länger verfügbar sei. Ergänzt von der Bemerkung, dass es im Internet trotzdem weiter eine Menge zu entdecken gebe. Wenn das kein Trost ist.

© SZ vom 2.11.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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