Nachruf auf Denis Johnson:Die Welt in Rauchzeichen

Johnson

Der Schriftsteller Denis Johnson, 1949 als Sohn eines Offiziers in München geboren, starb am 24. Mai 2017.

(Foto: Götz Schleser/imago)

Er schickte seine Helden als Glücksritter in eine undurchdringliche Welt hinaus. Nun ist der große US-amerikanische Schriftsteller Denis Johnson gestorben.

Von Christoph Fellmann

Die Welt ist voller Möglichkeiten. "Vielleicht zurück nach Ghana. Vielleicht nach Senegal. Und es gibt immer noch Kamerun. Oder wir lassen diesen Kontinent hinter uns und fliegen nach Kuwait."

So endet nach 266 Seiten der Bericht von Roland Nair, der Hauptfigur in Denis Johnsons nun letztem Roman, der anfang dieses Jahres in der Übersetzung von Bettina Abarbanell auf Deutsch erschienen ist. Roland Nair ist in "Die lachenden Ungeheuer" ein Agent mit undurchschaubarem Auftrag. Er ist aber auch ein Glücksritter auf eigene Rechnung. Erst in der hybriden Krisenlage scheiternder Staaten, im Durcheinander von lokalen Milizen und Grossmachtinteressen, kommt er zu sich: "Ich bin zurückgekommen, weil ich das Chaos liebe. Anarchie. Irrsinn. Allgemeinen Zerfall", so hat es Nair am Anfang des Buches gesagt, eben gelandet in Freetown, Sierra Leone.

Der letzte ist nicht der bedeutendste Roman von Denis Johnson, dem immer wieder genannten Kandidaten für den Pulitzer- oder sogar den Literaturnobelpreis, der am Donnerstag mit 67 Jahren gestorben ist. Aber das Buch zeigt noch einmal eindrücklich, wie auch dieser Autor seine literarischen Möglichkeiten an den prekärsten Orten der Welt suchte und fand.

Als Reporter war Johnson in den Neunzigern, etwa für den New Yorker, immer wieder in afrikanische Bürgerkriegsstaaten gereist - wovon der Erzählband "In der Hölle" (2006) zeugt. In Liberia interviewte er Charles Taylor, wobei der Warlord dem Gast zum Plaisier einen von der Folter gezeichneten Gefangenen vorführte; in Somalia sprach er mit dem Gefolge jenes Clanführers, der 1993 den Befehl zur Ermordung von 23 UN-Soldaten gegeben hatte.

Wo der Reporter distanziert berichtete, entwickelte der Schriftsteller seine Stoffe - eher in der Tradition eines Joseph Conrad als eines Graham Greene - zu grellen Phantasmagorien. In "Die lachenden Ungeheuer" führt Denis Johnson seinen Helden im Kongo und in Uganda durch verseuchte Wasserläufe, kaputte Dörfer, opake Militärlager - und durch einen Dschungel aus Lügen und Loyalitäten. Es ist ein Trip durch eine postfaktische Realität. Und das Erschreckende daran ist, wie gut und lebendig sich das für Leute wie Robert Nair anfühlt - über keinen Plan und Überblick zu verfügen. Nur über Rauchzeichen.

Eine ähnliche Figur und einen noch stärkeren Sog hatte Denis Johnson 2007 mit seinem wichtigsten Buch und Meistwerk "Tree of Smoke" geschaffen, auf Deutsch "Ein gerader Rauch". Auf fast 900 Seiten schickte er den Weltkriegsveteranen und CIA-Mitarbeiter Colonel Sands durch acht Jahre des Vietnamkriegs: "Wir konnten weder herausfinden, was in der Ho-Regierung vor sich ging, noch in Erfahrung bringen, wie dort Politik gemacht wurde und wer sie machte", so Colonel Sands; doch galt dies genauso für die Kriegspläne und -projekte der eigenen, der amerikanischen Seite.

Eine vernichtende Leere klafft in diesem doch so wuchtigen Roman, der in immer undurchsichtigeren Operationen an immer entlegenere Orte führt. Die Toten sind real, aber der Krieg entzieht sich der Wirklichkeit: "War dieser Berg jetzt unter Beschuss oder nicht?"

"Die Leute waren gekommen, weil sie spürten, wie unerklärlich es war, dass nicht sie es waren, die hingerichtet wurden."

Denis Johnson war selber Sohn eines US-Soldaten, nämlich eines in München stationierten Offiziers. Dort wurde er 1949 geboren. Das Terrain für seine unerlöst durchs Krisengebiet driftenden Figuren fand er aber zunächst in den USA, wo er zuletzt in der Nähe von Washington lebte. 1983 veröffentlichte er seinen ersten Roman, "Angels". "Engel", erst 2001 auf Deutsch erschienen, ist ein harter, albtraumhaft erzählter Bericht darüber, wie sich ein Mensch fühlt, dessen Existenz sich bei lebendigem Leib auflöst. Man erlebt den Abstieg eines Pärchens aus dem White Trash; und als der Mann am Ende hingerichtet wird, kommen die fiktiven Gaffer dazu. Johnson schreibt über sie: "Die Leute waren gekommen, weil sie spürten, wie unerklärlich es war, dass nicht sie es waren, die hingerichtet wurden."

Aus dem Satz spricht vielleicht Denis Johnsons eigene, jahrelange Existenz als Alkoholiker und Junkie. Und auch in "Schon tot" (1998) war es, als erzähle er aus einer derangierten amerikanischen Seele heraus - hier nun aber bereits in einer entgrenzten, spasmischen Fantasie über einen verspäteten Hippie. Der befindet sich auf Road- und Glückstrip durch ein Kalifornien, in dem die gegenkulturellen Träume nur noch in schäbigen, slumhaften Randzonen lebendig sind. Noch zelebriert die Landschaft mit den Wäldern, den Küsten und den Mainstreets ihre grandiose Weite - und sieht dabei aus wie ein großes amerikanisches Versprechen. Die Figuren aber scheinen ihre Freiheit erst da zu finden, wo sich dieses Versprechen zersetzt. In einer billigen kalifornischen Absteige. Oder im Dschungel von Vietnam.

Das ist die Provokation, die Denis Johnsons große Romane für ihre Leser bereithalten. Seine Bücher sind vieles, aber keine Abgesänge auf die Zivilisation. Gerade, wo ihnen die Verhältnisse zerbrechen und die Welt abhandenkommt, scheint es, als beträten seine Figuren ihr natürliches Habitat. Da erscheinen sie zwar unerlöst, aber viril. Da scheint sich die Welt noch dem langweiligen Assistenzprofessor aus "Der Name der Welt" (2000) zu Füßen zu legen, bindet er seine Zukunft nur erst an eine junge Frau mit violett leuchtendem Haar und "großen, unechten Augen".

Es sind sehr gegenwärtige Romane. Denn sie handeln auch von der erstaunlichen Leichtigkeit, mit der sich Politiker, Geschäftsmänner, Hasardeure durch einen schwülen Dunst von Fake bewegen wie über eine abenteuerliche literarische Bühne. Wo es finster ist, verwirklichen sie sich selbst. Vielleicht in Ghana, in Kuwait, in Europa. Die Welt ist voller Möglichkeiten.

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