"Die lachenden Ungeheuer" von Denis Johnson:Gott ist ein Dealer

Denis Johnson

Reporter aus der Hölle: Der amerikanische Schriftsteller Denis Johnson

(Foto: Cindy Lee Johnson)

Der frühere Bürgerkriegsreporter Denis Johnson schickt seinen Protagonisten in dem postfaktischen Spionageroman "Die lachenden Ungeheuer" nach Afrika - und lässt ihn dort das Chaos suchen.

Von Christopher Schmidt

Der amerikanische Schriftsteller Denis Johnson ist so etwas wie ein Reporter der Hölle. Offenbar hat er eine feste Korrespondentenstelle für Orte, an denen es brennt. Immer wieder ist er im Auftrag amerikanischer Magazine in die Kriegs- und Krisengebiete dieser Welt gereist, dorthin, wo der Interventionshumanismus seine unmenschliche Kehrseite zeigt. In den Neunzigerjahren hat Johnson Reportagen über die Bürgerkriege in Somalia und Liberia geschrieben, und auch für seinen aktuellen Roman "Die lachenden Ungeheuer" war er erneut in Afrika unterwegs.

Doch sein "inneres Afrika" findet der 1949 in München geborene Johnson ebenso gut zu Hause in den USA, denn er trägt es im eigenen Herzen. All seine Bücher bilden zusammen einen der schwärzesten Kontinente der Literatur. Die Protagonisten dieser in Schwefellicht getauchten Romane sind stets unerlöste Gottsucher, die das amerikanische Sendungsbewusstsein auf eine dämonische und selbstzerstörerische Weise verkörpern. Der Gott aber, der sich ihnen offenbart, ist zumeist nur ein Dealer.

Auch Roland Nair, der Ich-Erzähler der "Lachenden Ungeheuer", den Johnson nach Afrika entsendet, sucht nach Erlösung, vordergründig nach einer höchst irdischen, der Erlösung von seiner langweiligen Existenz. "Ich bin zurückgekommen, weil ich das Chaos liebe. Anarchie. Irrsinn. Allgemeinen Zerfall", sagt er zu Beginn. So langweilig allerdings ist seine Existenz gar nicht. Offiziell gehört Nair den dänischen Streitkräften an. Faktisch arbeitet er in geheimer Mission für die Nato, doch "Geheimagent", so Nair: "Das sagt heute keiner mehr." Er soll Michael Adriko ausfindig machen, einen Kameraden aus alten Tagen in Afghanistan, der sich abgesetzt hat und sein eigenes Ding durchzieht. Michael hat keine Lust mehr auf den Job als "Auftragsrambo", der aus ihm geworden ist. "Ein Gorilla, ein Bauer, ein Rädchen in einem Roboter, der auf Lügen programmiert ist."

Für Nair ist Adriko ein "Hexenmeister, der im Kessel rührt", um den Zaubertrank eines anderen, abenteuerlicheren Lebens zu brauen. Die nötigen Zutaten hat er bereits beisammen. Denn wie Nair treibt auch sein Freund ein doppeltes Spiel. Er versucht, hochangereichertes Uran aus demontierten russischen Sprengköpfen an den Mossad zu verkaufen - das Ganze ist allerdings ein Fake, genauso wie die Proben, die angeblich aus einem abgestürzten Flugzeug stammen.

Das Messer, das Johnson ins Herz der Finsternis rammt, hat eine Klinge, die auf beiden Seiten geschliffen ist. Der Plot wendet sich so oft, dass offen bleiben muss, wer am Ende wen abkocht. Wo sowieso jeder jeden betrügt, ist die einzige richtige Seite nur die eigene. Aus dem doppelten Spiel wird zwischenzeitlich ein dreifaches, als die Freunde von den eigenen Leuten, die mittlerweile auch Nair auf dem Schirm haben, gefangen genommen und in ein Guantanamo-artiges Lager verschleppt werden. Doch auch hier scheint etwas zu gehen, ein Millionen-Deal, bei dem Nair in der Rolle eines Interessenten auftritt und als Strohmann mitbietet um das Uran. "Wäre das für Sie machbar?", fragt Nair beim Verhör sein Gegenüber vom amerikanischen Geheimdienst. "Möchten Sie die Wahrheit hören?", lautet die Antwort. "Für uns ist alles machbar."

Der Effekt des Postfaktischen

Tatsächlich lässt Nair sich nur zum Schein anheuern - seinen Rückzug hat er vorsorglich abgesichert durch hochsensibles Datenmaterial, das er an den Meistbietenden vertickt, GPS-Koordinaten, Karten vom Glasfaserkabelnetz der US-Army. Aber was ist mit Michael? Unter welchen Vorzeichen wurde er, früher als Nair, wieder freigelassen? Ist ihm zu trauen?

Die unsichere Loyalität seiner beiden dunkel bestrahlten Helden ist für Denis Johnson sowohl Folge als auch Spiegelbild dessen, was Militärexperten als "fourth generation warfare" bezeichnen. Gemeint ist die trübe Gemengelage globaler Hinterhofkriege mit ihren dubiosen Allianzen und undurchsichtigen Freund-Feind-Bewegungen. "Wir reden viel darüber, wie die Welt sich verändert hat, seit die Zwillingstürme eingestürzt sind", heißt es einmal. "Ich glaube, man kann ohne weiteres sagen, dass der Teil, der sich am meisten verändert hat, die Welt der Geheimdienste, der Sicherheit und der Verteidigung ist. Die Weltmächte öffnen ihre Kassen für eine erweiterte Version des alten ,großen' Spiels. Das Geld hat einfach keine Grenzen, und viel davon wird fürs Verpfeifen und Bespitzeln ausgegeben. Auf dem Gebiet gibt es keine Rezession." Und an anderer Stelle schreibt Johnson: "Seit Nine Eleven hat sich die Jagd auf Mythen und Märchen zu einem ernsthaften Geschäft entwickelt. Einer Industrie."

Falsche Politik

Den Trickle-down-Effekt des Postfaktischen hat Denis Johnson schon 2007 in seinem großen Vietnam- (und eigentlich Irak-)Roman "Ein gerader Rauch" beschrieben. ",Die Lügen', so der Colonel, ,wandern nach oben, und was wieder runterkommt, ist schlechte Politik, falsche Politik.'" Afrika ist nicht nur der reale Schauplatz, wohin der Westen seine Konflikte ausgelagert hat, er ist im Roman auch ein Emblem für die Phantasmen, die diese Konflikte antreiben. Immer wieder wird es im Buch als Heimat der Mythen und Legenden heraufbeschworen.

In der getragenen Coda des Romans verschlägt es Nair, der zu Fuß unterwegs ist, in ein Dorf in Uganda am Rande jener Berge, die der britische Missionar James Hannington "die lachenden Ungeheuer" genannt hat. Auf der Suche nach Michael, der in seinem Heimatdorf Frieden schließen will mit seiner Herkunft, folgt er einem Sargmacher, der mit dem Fahrrad zwei lilafarbene Kindersärge aus Blech transportiert. Der Weg führt zu einer Totenstätte. Grabungen nach seltenen Metallen haben das Trinkwasser verseucht. Wer noch am Leben ist, flieht den Ort. Nur eine böse Schamanin sitzt in einem Baum und spricht Bannflüche aus.

Stilistisches Auf und Ab

Die hitzeflirrende, gespenstische Szenerie ist natürlich eine Verneigung vor Joseph Conrad, der im Buch genauso seine Spuren hinterlassen hat wie Graham Greene. Wie so oft jongliert Denis Johnson mit Genre-Versatzstücken, diesmal solchen des Spionageromans. Da gibt es die billigen Absteigen, in denen das Strandgut der westlichen Welt angespült wird, Glücksritter wie Nair, der ein abgerockter Haudegen mit zerknittertem Zynismus und einer Schwäche für Prostituierte ist. Und natürlich fehlt auch nicht die geheimnisvolle Schöne, der Nair genauso verfallen ist wie dem Alkohol, der hier aus kleinen Plastikbeuteln gesaugt wird.

In den USA, wo "Die lachenden Ungeheuer" bereits 2014 erschienen ist, wurde der Roman respektvoll, aber verhalten aufgenommen. In der Tat ist das Buch eher ein Nebenwerk. Zu erwartbar folgt es den Vorbildern, zu leicht begnügt es sich mit der bitterkomischen Parodie auf den Agententhriller in Zeiten von Fake News. Lesenswert aber ist es allemal, schon weil manche Sätze so stark sind wie jene alkoholischen Schnellschüsse aus dem Plastikpäckchen, Sätze wie dieser: "Nichts mehr zu hören jetzt außer dem Geräusch meines Atems und den Gebeten dreier kleiner Ventilatoren."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: