Nachrichten aus dem Netz:Die Stars aus der Retweet-Schleife

Lesezeit: 2 min

Vor fünf Jahren kannte kein Mensch Youtube-Stars. Und plötzlich schreiben sie Bücher, drehen Filme, verdienen Millionen. Womit, ist im Grunde egal. Und dieser Wahnsinnn ist erst der Anfang.

Von Michael Moorstedt

Vor ein paar Jahren konnte man sich noch wundern, dass es Menschen gibt, die wegen ein paar Youtube-Videos zu Stars werden konnten. Zumindest im Internet. Im Sommer 2015 schwappt das Phänomen nun von der digitalen in die sogenannte echte Welt. Die Youtube-Stars von heute drehen Filme fürs Kino anstatt für die Videoplattform, sie vermarkten Make-up-Linien und sie schreiben Texte, die nicht als Blog, sondern als gedrucktes Buch veröffentlicht werden.

Die seltsamste Ausprägung des Online-Offline-Ruhms ist die "Digitour" durch die USA, eine Art Wanderzirkus von amerikanischen Social-Media-Stars. In einer Tournee werden sieben Online-Berühmtheiten, kaum älter als ihre Fans, jeden Tag mit einem Bus in eine andere Stadt gekarrt und dort vor einer kreischenden Teenager-Menge auf eine Bühne gestellt. Viele von ihnen haben eine größere Online-Gefolgschaft als ein halbes Dutzend altgedienter Hollywood-Promis zusammen.

Man kennt die Szenen, die sich auf der Digitour abspielen, aus 60 Jahren Populärkultur: Stofftiere und Unterwäsche fliegt auf die Bühne, hyperventilierende Jugendliche müssen aus dem Publikum eskortiert werden. Neu ist die Ausleuchtung durch die Social-Media-Kanäle. Die Fans schießen Selfies mit ihren Idolen, die sich wiederum vor den Fans fotografieren. Und jede Seite lädt die Ergebnisse ins Netz - es entspinnt sich eine Feedbackschleife aus Likes, Retweets und Gefällt-mir-Angaben.

Neu ist auch, dass der Abend keiner Choreografie, keinem Spannungsbogen folgt. Jeder Star ist eine halbe Stunde auf der Bühne. Im Wortsinn: Nur da. Anders als noch vor ein paar Jahren braucht es heutzutage keine besonderen Talente mehr, um im Netz zum Star zu werden. Es reicht für Leute wie Alec Bailey (18), Alyssa Shouse (19) oder Daniel Skye (14), halbwegs authentisch zu sein - und ein bisschen auszusehen wie Justin Bieber. Und mehr machen sie auch nicht. Das Digitour-Ensemble ist berühmt um seiner selbst willen.

Kein Mensch über 25 hat ihre je gehört, und doch funktioniert das Konzept. Vor zwei Jahren verkauften die Veranstalter 18 000 Tickets, 2015 sind es mehr als 300 000. Marken wie Intel und Sony dienen sich als Sponsoren an. Eine Investition in eine Zukunft, in der man die werberelevante Zielgruppe nicht mehr über das Fernsehen oder das Kino erreicht, sondern auf Vine, Instagram oder Youtube.

So ist die Digitour eine Mischung aus Mini Playback Show und der Konzerttour Lollapalooza - mit einem geschätzten Jahresumsatz von 20 Millionen Dollar. Und die Macher haben die nächste Stufe schon geplant. Das Digifest mit vier Bühnen und mehr als 70 Netzberühmtheiten, Woodstock für das Online-Zeitalter.

© SZ vom 27.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: