Nachrichten aus dem Netz:Beste Freunde, wirklich

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Sie sehen sich nie offline, aber ist ihre Onlinefreundschaft deswegen weniger wert? Über eine neue Teenager-Studie und ein altes Stigma.

Von MICHAEL MOORSTEDT

Es war eine herzzerreißende Geschichte, die da unlängst auf dem Portal Reddit gepostet wurde. Zwei Jungs wachsen zusammen auf, spielen jeden Tag miteinander, jahrelang, erzählen sich ihre Geheimnisse. Bis einer der beiden an Krebs stirbt. "Er war mein bester Freund", schreibt der Überlebende, untröstlich. Doch gesehen hatten sie sich nie. Sie begegneten sich auf den Servern des Videospiels Call of Duty, kämpften dort gegen virtuelle Feinde und unterhielten sich in den Feuerpausen über Herzschmerz und andere wichtige Nichtigkeiten.

Betrachtet man die Zahlen der aktuellen Jugendstudie des Meinungsforschungsinstituts Pew ist dies ein tragischer, aber längst kein ungewöhnlicher Fall: Mehr als die Hälfte aller befragten Teenager, 57 Prozent um genau zu sein, gaben an, echte Freundschaften online geschlossen zu haben. Mehr als drei Viertel dieser Gruppe hat besagte Freunde noch nie offline getroffen - und empfinden das nicht als Mangel.

Neben den sozialen Netzwerken sind es vor allem Online-Videospiele, in denen die Beziehungen besiegelt werden. Sind wir im Netz also gar nicht "Zusammen allein", wie es die IT-Soziologin Sherry Turkle vor einigen Jahren in ihrem gleichnamigen Buch formulierte? Die Möglichkeit, "sich selbst als die Person darzustellen, die man gerne wäre, und fremde Menschen nach den eigenen Vorstellungen zu konstruieren" sei eine "verführerische aber gefährliche Geisteshaltung", warnte Turkle.

Netz-Bekanntschaften haben bis heute keinen sonderlich hohen Stellenwert. Ein durchweg analoges Vorurteil, wie es scheint. Immerhin bedarf es bei Online-Spielen der Attribute, die man auch an einem "Offline-Freund" schätzt. Engagement, Kommunikationsbereitschaft, Zielstrebigkeit. Kein Wunder, dass sich eine Gegenbewegung von jungen Soziologen formiert, die jegliche Unterscheidung zwischen offline und online als "digitalen Dualismus" verdammen. "Es gab nie einen Cyberspace", heißt es in ihrem Manifest. Unsere Identität und unsere Beziehungen werden demnach nicht weniger authentisch, nur weil sie online stattfinden. Atome und Bits sind längst miteinander verwoben.

© SZ vom 17.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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