Musikgeschichte:Im Atelier des Schlagwerkers

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1954 kaufte sich Carl Orff mit seiner damaligen Frau Luise Rinser ein Haus am Ammersee. Heute wirkt dort die nach dem Komponisten benannte Stiftung - mit seiner Musik verdient sie immer noch gut

Von Sabine Reithmaier, Dießen

Der Raum wirkt so, als hätte ihn Carl Orff eben erst verlassen. Auf dem Schreibtisch stehen griffbereit seine Pfeifen. Daneben Tabakdosen, eine Feder, das Sterbebildchen seiner Mutter Paula und ein bisschen Krimskrams. An den Wänden Bücher, auf dem Fensterbrett Dutzende Quarze, Kristalle und andere Mineralien. "Seine Steine brauchte er immer in der Nähe", sagt Wilfried Hiller. Er hat in dem Zimmer oft mit Orff, seinem Lehrer, gearbeitet. Auch der Flügel in der Mitte des Raums stand zu dessen Lebzeiten schon am selben Fleck. Allerdings stapelten sich auf ihm damals Notenblätter ohne Ende. Und das Klavier in der Ecke? Auf dem habe Orff nie gespielt, sagt Hiller. Das Instrument gehörte seiner Mutter, vermutlich nutzte sie es für die ersten Klavierstunden, die sie ihrem Sohn noch in München gegeben hatte.

Der 120. Geburtstag des Komponisten am 10. Juli wird nicht groß gefeiert. Die Carl-Orff-Stiftung, die seinen Nachlass verwaltet, ist gerade damit beschäftigt, das Anwesen ihres Namensgebers in Dießen zu restaurieren. Das Arbeitshaus ist schon fertig, jetzt ist das Wohngebäude dran. Hiller, ebenfalls Komponist, ist der Vorsitzende der Stiftung, deren Gründung Orff testamentarisch verfügte. 1984 nahm sie unter dem Vorsitz seiner Witwe Lieselotte ihre Arbeit auf. Sie sichert und schützt den künstlerischen Nachlass, fördert mit Stipendien die Orff-Forschung und unterstützt die Verbreitung des Werks, beispielsweise durch die Vergabe eines Orff-Preises an Menschen, die sich um das Werk durch beispielhafte Aufführungen verdient machen. 2013 zeichnete sie die Prometheus-Inszenierung der Ruhrtriennale aus.

An Orffs Oeuvre verdient die Stiftung nicht schlecht. 90 Prozent ihrer Einnahmen verdankt sie allerdings allein den "Carmina Burana", einem der am häufigsten aufgeführten Chorwerke der Musikgeschichte. Am lukrativsten sind Orff-Takte in der Werbung, sehr ergiebig etwa die Nespresso-Werbung mit George Clooney. Nicht billig war es auch für den FC Bayern, als dieser einige Jahre seine Spieler zu "O Fortuna" ins Stadion einlaufen ließ. Michael Jackson schätzte den Eingangschor ebenfalls, verwendete ihn aber ohne Genehmigung, was zu gerichtlichen Auseinandersetzungen führte. Und als sich der Rap-Musiker Puff Daddy alias Sean Combs dazu ans Kreuz nageln ließ, fand die Stiftung das auch nicht lustig, weil nicht kontextgerecht.

Die prächtige Villa Carl Orffs steht am Rande Dießens.

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(Foto: Johannes Simon)

Eine Million Euro hat die Carl-Orff-Stiftung in die Restaurierung des Anwesens gesteckt, eine weitere wird folgen.

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(Foto: Johannes Simon)

Im Arbeitszimmer ist alles so belassen, wie es zu Orffs Lebzeiten war: links der Bechstein-Flügel, rechts das Klavier seiner Mutter.

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(Foto: Johannes Simon)

Auf dem Schreibtisch stehen griffbereit Carl Orffs Pfeifen.

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(Foto: Johannes Simon)

Auf dem Fensterbrett liegen Dutzende Quarze, Kristalle und andere Mineralien. "Seine Steine brauchte er immer in der Nähe", sagt Orff-Schüler Hiller.

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(Foto: Johannes Simon)

Wie das viele Schlagwerk, das Orff beim Komponieren spielte: Trog-Xylofone, eine riesige Barockpauke, japanische Trommeln, chinesische Tempelglocken.

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(Foto: Johannes Simon)

Die Carl-Orff-Stiftung will das Haus als Komponisten- und Forschungsstätte erhalten, Musiker, Theaterleute und Forscher sollen sich hier begegnen.

Empfindlich reagierte sie auch auf die Textveränderungen, die Marcus Everding, Leiter der Orff-Festspiele in Andechs, am Orffschen Oeuvre vornahm, auch wenn sich diese eher harmlos ausnehmen. Entscheidend sei immer die Art und Weise, sagt Ute Hermann, Rechtsanwältin und Geschäftsführerin der Stiftung. Verdrießlich sei es eben, wenn gar nicht groß gefragt werde. "Ansonsten genehmigen wir alles, was das Werk nicht beschädigt, denn grundsätzlich wollen wir Entwicklungen nicht aufhalten." Wobei sich die Stiftung ohnehin nur in Grenzfällen einschaltet, den größten Teil erledigt der Schott-Verlag völlig geräuschlos.

Ute Hermanns Büro liegt direkt unter dem Arbeitszimmer Orffs. Bis vor drei Jahren verwaltete von hier aus Lieselotte Orff das Erbe ihres Mannes. Als sie 2012 starb, hatte sie zwar die Stiftung als Alleinerbin eingesetzt, aber auch verfügt, dass diese ein Nutzungskonzept für das "Ziegelstadel" genannte Anwesen entwickeln muss. Das steht inzwischen: Das Haus bleibt als Komponisten- und Forschungsstätte erhalten, Musiker, Theaterleute und Forscher sollen sich hier begegnen.

Eine Million Euro hat die Stiftung bereits in die grundlegende Restaurierung des Anwesens gesteckt, eine weitere wird folgen. "Ziel ist es, dass die Atmosphäre des Hauses erhalten und Orff spürbar bleibt", sagt Hermann. In seinem Arbeitsraum ist das zweifellos gelungen. Den Flügel, einen Bechstein, kaufte Orff 1934 gebraucht, stotterte ihn in 150-Mark-Raten ab und malträtierte ihn ziemlich. Sagt jedenfalls Hiller. Schließlich habe Orff überwiegend für Schlagwerk geschrieben. Auch davon besaß er reichlich. Unter den Flügel geschoben sind die Trog-Xylofone, die er für Glissandi einsetzte. In die Ecke eine riesige Barockpauke, chinesische Tempelglocken und japanische Trommeln. Auf ďem Sofa liegen die japanischen Schlaghölzer, die ertönen, wenn Prometheus an den Fels genagelt wird. Orff war ein Perfektionist, probierte vieles selbst aus. Ein Jahr feilte er am Schlusskanon seines letzten Werks "De temporum fine comoedia" (1973), bis er damit zufrieden war.

Mit der Schriftstellerin Luise Rinser, seiner dritten Frau, war Orff erst ein paar Monate verheiratet, als sie 1954 gemeinsam den Ziegelstadel kauften. Ein Traumhaus, wie Rinser anfangs fand. "Einstöckig mit hohem Giebeldach, die Ecken geschrägt, sodass alle Zimmer wie Erkerzimmer wirkten, ungemein gemütlich . . ." Weil Orff kaum Geld hatte, steckte sie ihre Ersparnisse ins Haus, verkaufte ihre Lebensversicherung, bat ihre Mutter um Unterstützung, versuchte mit Reportagen und Rezensionen zusätzlich Geld zu verdienen. Später schrieb sie, das Arbeitszimmer im ersten Stock sei das einzige gewesen, in dem sie sich zu Hause gefühlt habe: "Mit dem Blick auf die beiden alten Bäume gegen Süden und im Osten auf den See und das Kloster Andechs." Die Ehe funktionierte nicht lang. Orff zog nach wenigen Jahren ins Nebenhaus, verliebte sich in Lieselotte Schmitz, die Sekretärin, die Rinser ins Haus geholt hatte. Die Schriftstellerin wollte sich erst nicht scheiden lassen, doch Ende 1959 gab sie nach, einigte sich mit Orff auf eine Zahlung von 100 000 Mark, nicht viel im Vergleich zu dem, was sie investiert hatte. Aber es reichte für ihren Neuanfang in Italien. Orff sah sie niemals wieder.

Auch im Wohnhaus ist alles so belassen, wie es zu Orffs Lebzeiten war. In der Küche räkeln sich zwei Katzen, während im "blauen Salon" seine Ahnen von Ölgemälden herab auf die Besucher blicken. Im ersten Stock sind Schlaf- und Gästeräume, auch das "Luise-Rinser-Zimmer" mit dem phantastischen Ausblick. Ganz oben unterm Dach wohnte Mutter Paula. Dort wird eben saniert. Entstehen soll ein kleines Apartment für Stipendiaten. Auch im Keller sind Handwerker unterwegs, meist damit beschäftigt, Fehler früherer Umbauten wieder zu beseitigen.

Die Autografen Orffs sind natürlich nicht in Dießen, sondern in der Staatsbibliothek beheimatet, während Briefe und andere Dokumente, die Werk oder Aufführungen betreffen, im Münchner Orff-Zentrum untergebracht sind. Letzteres, ein Staatsinstitut, das sich der Orff-Forschung widmet und ebenfalls von der Witwe initiiert wurde, begeht gerade sein Jubiläum zum 25-jährigen Bestehen. In Dießen selbst gibt es noch ein kleines Orff-Museum, über dessen Umzug in den Ziegenstadel immer wieder mal geredet wird. Aber angesichts der sehr schmalen Straße, die sich zu dem etwas außerhalb des Orts liegenden Anwesen schlängelt, ist das nur schwer vorstellbar.

Ein wenig wurmt es Wilfried Hiller schon, dass Orff vielen nur noch als Schöpfer der Carmina bekannt ist. Früher wurden seine Stücke auf großen Bühnen gespielt, sei es Wiener Staatsoper oder Mailänder Scala oder Met. Aber das komme sicher wieder, da ist er sich sicher. Hiller träumt davon, dass im blauen Salon bald wieder Intendanten und Dramaturgen sitzen, sich der Atmosphäre des Hauses aussetzen und dabei Orff wiederentdecken. "Das würde sich wirklich lohnen."

© SZ vom 10.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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