Lübeck:Stadt in Trauer

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Die Skulptur "Butt im Griff" von Günter Grass steht im Innenhof des Günter Grass-Hauses in Lübeck. (Foto: Markus Scholz/dpa)

In der norddeutschen Stadt herrscht nach dem Tod ihres Weltbürgers eine Stimmung betroffener Ruhe. Vor allem in jenem Haus, das ihm und seinem Werk gewidmet ist, spürt man, wie groß der Verlust hier ist.

Von Thomas Hahn

Die Nachricht ist noch so neu am Montag um die Mittagszeit, dass die Ticketverkäuferin des Günter-Grass-Hauses wahrscheinlich noch gar nichts davon weiß. Aber für den, der die Nachricht kennt, fühlt es sich schon jetzt seltsam an, hier zu sein, im renovierten Altstadthaus mit Skulpturengarten im Innenhof, Glockengießerstraße 21, Lübeck. Günter Grass ist tot, und um das Haus weht plötzlich ein anderer Geist als noch tags zuvor.

Wenn der Mensch stirbt, zu dessen Ehren eine Institution gewachsen ist, dann verändert das etwas. Dann ist auch die letzte Illusion fort, dass dieser Mensch jeden Moment zur Tür hereinkommen könnte, den Raum mit seiner Aura füllen und persönlich seine Kunst erläutern könnte. Dann ist nur noch seine Seele da und die Hoffnung, dass man auch ohne seine leibhaftige Anwesenheit versteht, was er zeit seines Lebens mitteilen wollte in seinen Zeilen, Zeichnungen, Skulpturen.

Es herrscht eine seltsame Stimmung in Lübeck am Todestag von Günter Grass. Die Hansestadt liegt in einem angespannten Frieden. Viel Polizei ist in den Straßen, weil das Treffen der G-7-Außenminister am nächsten Tag beginnt, zu dem Grass sicher ein paar kraftvolle Sätze hätte sagen können. Die Stadt mit ihren 210 000 Einwohnern ist noch ganz gefangen von dem Umstand, dass sie eine Gruppe von Große-Welt-Politikern zu Gast hat und dazu viele durchaus laute Kapitalismus-Gegner. Dann ist die Nachricht da, und wer mitfühlen will, für den ist die Aufregung um den Polit-Gipfel auf einmal ganz klein.

In der Ausstellung des Günter-Grass-Hauses leuchten seine Bilder und Schriften wie an jedem anderen Tag. Das Haus atmet jenen lebhaften Widerstandsgeist, den Grass selbst immer pflegte. 2002 wurde es gegründet als unabhängige Einrichtung in Trägerschaft der Kulturstiftung der Hansestadt Lübeck, die den Schriftsteller, Grafiker und Zeichner Grass ehrte, ihm aber nie übertrieben schmeichelte.

Das Haus ist kein Tempel, Grass wollte das selbst nicht. Er lebte in der Nähe von Lübeck, in Behlendorf, das Haus trug seinen Namen, es beherbergte sein Sekretariat, und gerne brachte er sich bei Veranstaltungen ein. Aber die Unabhängigkeit des Hauses verletzte er nie. "Er hat sich nie eingemischt", sagt Museumsleiter Jörg-Philipp Thomsa. Diese Distanz merkt man der Ausstellung an, sie macht das Werk des Künstlers im sanften Licht der Räume stark.

Die Nachricht kriecht allmählich in die Öffentlichkeit. Im Gästebuch steht der erste Eintrag dazu. Zwei Besucher aus Rotterdam haben geschrieben: "Unglaubliche Nachricht. Kaum zu fassen. Günter Grass gestorben! Seine Bücher leben für immer."

Im Foyer liegt jetzt ein schwarzes Buch mit weißen Seiten. "Das ist das Kondolenzbuch für Günter Grass", sagt eine Mitarbeiterin des Museums. Fernsehleute rücken an. Einer von ihnen sagt: "Das fehlte noch." Ein Passant informiert unaufgefordert: "Günter Grass ist heute verstorben."

Am Nachmittag gibt es eine Pressekonferenz im Haus. Lübecks Bürgermeister Bernd Saxe sagt: "Die Stadt trauert." Und Hilke Ohsoling, Günter Grass' treue Sekretärin, hat eine letzte Meldung aus der Werkstatt ihres Chefs mitgebracht. Er hat noch was zu Ende gebracht. Ein paar Korrekturen fehlen noch, dann könnte das letzte Buch von Günter Grass im Herbst herauskommen. Sein Titel wird nach unverstellter Bodenständigkeit klingen. Er lautet: "Vonne Endlichkait."

© SZ vom 14.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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