Loïc Nottet aus Belgien:Dem ESC den blanken Hintern gezeigt

Lesezeit: 2 min

Irgendwo zwischen Twilight-Vampir Edward und 90er-Jahre-Boyband-Mitglied im Regen: Loïc Nottet im Video zu "Rhythm Inside". (Foto: Youtube/Eurovision Song Contest)

Platz vier. Das ist die bitterste Platzierung des diesjährigen ESC. Loïc Nottet aus Belgien hätte den Sieg verdient gehabt. Der Videobeweis.

Von Johanna Bruckner

Der Eurovision Song Contest ist das höchste Fest der Belanglosigkeitsmusik. Am Ende der 60. Ausgabe gewann ein nett aussehender Schwede mit nett klingendem Liedchen. Die internationale Musikshow ist so brav geworden, dass mancher Beobachter verzweifelt versuchte, aus den Zeilen der russischen Kandidatin ("Wenn du unsere Stimmen rufen hörst, wirst du nicht mehr einsam sein") einen Verbalangriff auf die Ukraine zu lesen. In Wahrheit hatte aber nur einer - um es ganz unmissverständlich zu sagen - den Arsch in der Hose.

Loïc Nottet aus Belgien legte sich mitten in seiner knapp dreiminütigen Performance einfach mal auf den Boden. Ansonsten tat der 19-Jährige im schwarzen Gehrock mit Popperfrisur nicht viel auf der Bühne. Drehte genau eine Pirouette, machte Roboterbewegungen, die man sonst nur noch bei Ü40-Abenden in Provinzdiskotheken sieht. Und stierte die restliche Zeit in die Kamera, als wäre er beim Casting einer Fortsetzung zum Horrorklassiker Das Dorf der Verdammten (1995) .

Ein "minimalistischer Charakter" wurde seinem Auftritt hinterher bescheinigt. Man könnte auch sagen: Bei einer Veranstaltungen, in der 26 von 27 Kandidaten auf Pomp, Drama und/oder Technik setzten, betrieb Nottet Leistungsverweigerung. Aber wie! Wäre die ESC-Welt eine, in der Unangepasstheit belohnt wird, hätte der Belgier gewinnen müssen. Mindestens. So aber landete er auf Rang vier. Nachdem die meisten Sieger eine Halbwertszeit von 24 Stunden haben, ist der Blech-Rang fast so bitter wie der 27. Platz von Ann Sophie - wäre da nicht das Video zu "Rhythm Inside".

YouTube

Die SZ-Redaktion hat diesen Artikel mit einem Inhalt von YouTube angereichert

Um Ihre Daten zu schützen, wurde er nicht ohne Ihre Zustimmung geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir Inhalte von YouTube angezeigt werden. Damit werden personenbezogene Daten an den Betreiber des Portals zur Nutzungsanalyse übermittelt. Mehr Informationen und eine Widerrufsmöglichkeit finden Sie untersz.de/datenschutz.

Das wurde bereits Anfang März veröffentlicht, bekommt aber erst jetzt die Aufmerksamkeit, die es verdient hat. Darin gibt Nottet den leichenblassen Beau, irgendwo zwischen Twilight-Vampir Edward und 90er-Jahre-Boyband-Mitglied im Regen (wir erinnern uns: Take That/"Back For Good", oder auch: Backstreet Boys/"Quit Playing Games With My Heart").

Appell an das Eitle, Faule, Lustgesteuerte

"Listen to the sound of thunder", singt das Bürschchen, ganz in Schwarz, auf einem roten Samtsessel sitzend. "Rolling in the soul down under / Far beneath the skin, it rumbles." Frei übersetzt: "Hör' auf das Donnern tief in deiner Seele." Doch es geht hier wohl nicht um das esoterische Konzept der inneren Stimme, die einem zu weniger Arbeit und einer Ayurveda-Kur in Indien rät. Nottet appelliert mit Chorknaben-heller Stimme und dumpf pochendem Bass an das Eitle, Faule, Lustgesteuerte in uns.

"And if we die, tomorrow / What'll we have to show / For the wicked ways / Down below." "Und wenn wir morgen sterben / was haben wir vorzuweisen / für die teuflischen Wege / dort unten." Wobei solche Liedzeilen natürlich maximalen Interpretationsspielraum lassen - genauso wie die eingeblendeten Bilder.

Ein Muskelprotz, oben ohne, beim Selfie-Machen, eine Dame, die sich die Wimpern tuscht, ein Mädchen im Baiserkleid mit Barbie, ein Junge, der Computerspiele zockt. Dazwischen Zahnräder, freiliegende Rohre, ein blutendendes mechanisches Herz. Dann tauchen plötzlich die pädagogisch wertvollen Pendants der Protagonisten auf. Ist "Rhythm Inside" also doch ein Appell, den Hintern hochzubekommen, das Leben nicht zu vergeuden? Aber warum tragen die Guten dann Schwarz und die Bösen unschuldiges Weiß?

Nein, Loïc Nottet will sich nicht festlegen lassen ("Be you enemy or brother / We were put here to discover"). Dazu passt, dass ihn die Juroren der belgischen Ausgabe von The Voice (2014) bei seinem ersten Auftritt für eine Frau hielten. Nottet sang "Diamonds" von Rihanna, die Jury hörte nur seine Stimme. Er wurde am Ende Zweiter. Nur.

Aber wie gesagt: Was sind Platzierungen, wenn man mit nicht einmal 20 den Schneid hat, dem ESC den blanken Hintern zu zeigen, im übertragenen Sinne selbstverständlich. Und ein Video, in dem Gut und Böse am Ende zusammen ein Splatterfest feiern. Bloody hell!

© SZ.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: