Literaturfest:Letzte Runde

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Albert Ostermaier herzt Überraschungsgast Herbert Grönemeyer. (Foto: Juliana Krohn)

Albert Ostermaier und Freunde feiern in der Bar Gabányi

Von Christopher Schmidt, München

Am Ende hätte die Polizeipräsenz locker für eine Ringfahndung ausgereicht. Nicht weniger als vier mit dem Gastgeber, dem Schriftsteller Albert Ostermaier, befreundete "Tatort"-Kommissare aus München, Frankfurt, Dortmund und Stuttgart hatten sich am Freitagabend in der drängenden Enge der Bar Gabányi am Münchner Beethovenplatz eingefunden. Als Kritiker beschlich einen da die leise Angst, nach dem letzten Drink womöglich verhaftet zu werden. Doch die Schauspieler und alle anderen waren gekommen, um mit Ostermaier das Ende der von ihm kuratierten Reihe "Front:Text" beim Münchner Literaturfest zu feiern.

Ein ebenso glücklicher wie abgekämpfter Albert Ostermaier, im rauschhaften Schwebezustand zwischen Euphorie und Übermüdung, sagte zur Begrüßung, es sei ihm ein Bedürfnis gewesen, dass nach all den Großveranstaltungen mit Weltautoren wie Salman Rushdie, dem syrischen Dichter Adonis, der Israelin Zeruya Shalev, nach den vielen intensiven Gesprächen und Diskussionen zum Thema Flucht und Emigration am Ende die kleine Form zu ihrem Recht komme, die Lyrik und also die leisen Töne. Und als prominenter Überraschungsgast war noch ein anderer Freund Ostermaiers angereist: der Musiker Herbert Grönemeyer.

Im Duett lasen die beiden auf der kleinen Bühne politische Gedichte von Bertolt Brecht und Wole Soyinka und sprachen mit der scheidenden Literaturchefin der FAZ, Felicitas von Lovenberg. Ostermaier erzählte, wie ihn vor einem Jahr der aufwühlende Besuch eines Registrierungscamps im Libanon auf die Idee gebracht habe, das Flüchtlingsthema in den Mittelpunkt seines Programms zu stellen - zu einem Zeitpunkt also, als die Situation lange nicht so dramatisch war wie jetzt. Seine Erlebnisse hätten ihm die Augen und das Herz geöffnet, so Ostermaier.

In weniger elegische Worte fasste Grönemeyer seine Motivation. "Hilfe tut tierisch gut", sagte er mit kumpelhaftem Understatement über sein humanitäres Engagement, und das gelte in beide Richtungen: für die, denen geholfen wird, und für die, die diese Hilfe leisten. Er selbst sei hierfür das beste Beispiel, schließlich müsse auch er immer wieder ankämpfen gegen seine Neigung zur Verspießerung. Die Pubertät, so Grönemeyer, dauere ja bekanntlich, bis man 26 sei. Das wiedervereinigte Deutschland aber sei reifer geworden, und seine Menschen seien längst weiter als viele der Politiker, die Ostermaier "Verbal-Brandschatzer" nannte. Grönemeyer glaubt daran, dass nun das Jahrhundert der Menschlichkeit anbreche. "Anstatt um die Karriere zu fighten, rücken die Menschen enger zusammen, weil sie es müssen". Im Übrigen seien Musiker "die Trommler der Gesellschaft", die Öffentlichkeit schaffen.

Und also trommelte Grönemeyer nicht nur mit Worten, sondern setzte sich ans Klavier, spielte und sang die sehr emotionalen Lieder, "Roter Mond" und "Feuerlicht". Danach trug er einen Prosatext vor, eine Satire aus dem Libanon, an deren Ende sich die von Verkehrsinfarkt und Fehlernährung gebeutelten Libanesen in ihren adipösen Autos und Körpern selbst in jene Vögel verwandeln, die sie so gerne verspeisen. Ein junger, hier lebender Exil-Syrer, der an der Münchner Kunstakademie studiert, und sein Vater, ein Lyriker, trugen auf Deutsch und Arabisch ein Poem des Vaters vor, in dem es heißt: "was ist alles Glück in Zukunft wert, wenn wir es nicht teilen". Und Ostermaier las ein bewegendes Gedicht des wohl bekanntesten Münchner Syrers, Friedrich Ani, über seinen Vater, das dieser für den aus dem Festival hervorgegangenen Sammelband "Die Hoffnung im Gepäck" geschrieben hat.

Es war ein schöner und weicher Ausklang, sympathisch unplugged und mit dem Charme des Improvisierten. Am Ende rezitierten die Schauspielerinnen Bibiana Beglau und Wiebke Puls noch Texte von Wisława Szymborska, Karl Dedecius und Heiner Mülller. Und wenn Beglau ihre Stimme kämpferisch zur Faust ballt, dann ist man Feuer und Flamme und möchte am liebsten sofort auf die Barrikaden gehen. Doch dafür waren die Cocktails an diesem Abend einfach zu gut, um nicht zu sagen: ein Gedicht.

© SZ vom 30.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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