Literatur im Internet:Die sind dann mal weg

Wo sind sie nur hin, all die Autoren? Im Internet floriert Literatur auf sämtlichen Kanälen - allerdings fast komplett ohne ihre Urheber. Bis auf langjährige Jungautorinnen, die ihre Schenkel zeigen, und Herren im Trenchcoat.

Florian Kessler

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(Foto: www.rabeaedel.com)

Wo sind sie nur hin, all die Autoren? Im Internet floriert Literatur auf sämtlichen Kanälen - allerdings fast komplett ohne ihre Urheber. Bis auf langjährige Jungautorinnen, die ihre Schenkel zeigen, und Herren im Trenchcoat. Da bewegt sich was. Im Internet verrutschen seit ein paar Buchsaisons die Gewichte. Und zwar weg von den Autoren, die doch vor Jahren noch wenigstens zuweilen eigene Blog-Tagebücher anfingen oder ihren Lesern Gästebuch-Diskussionen offerierten. Noch früher versuchten sie sogar manchmal, online und gemeinsam Literatur zu verfassen, aber das ist nun wirklich schon sehr lange her. Oblag die Inszenierung ihrer Autorschaft bislang zuallererst den Schriftstellern selbst, so halten jetzt mit einem Mal die Verlage ungleich wirksamere Schaltknüppel in Händen. Es sind die Verlage und nicht die Autoren, die derzeit Einzelbuch-Homepages erstellen und Lesezirkel für Großromane anberaumen. Es sind die Verlage, die Lesungsvideos präsentieren und Buchtrailer produzieren lassen. Es sind die Verlage, die die Facebook-Fan-Seiten ihrer Autoren betreuen und selbst noch die eigenen Emotionen beim letzten Konferenzbesuch des Autors hinaus in die Welt twittern. Allein bei Facebook finden sich inzwischen fast 350 Buchverlage, die Kommentar für Kommentar einen gewaltigen Wirbel rund um Veröffentlichungen und Buchautoren erzeugen. "Warum auch nicht?" fragt ganz zu Recht Jakob Meiner, der für den Münchner Antje Kunstmann Verlag unter anderem die Twitter- und Facebook-Accounts betreut. Nur wer in den sozialen Netzwerken vorhanden sei, erlange auch einen Teil der allgemein für sie verwendeten Aufmerksamkeit. Die Kunst bestehe darin, über den Freundschafts-Button persönliche Bindungen zu den Lesern bestimmter Autoren herzustellen - und dazu diese Leser immer besser kennenzulernen und mit Informationen zu versorgen. Text: Florian Kessler/SZ vom 5.4.2011/sueddeutsche.de/rus Alle Bilder: SZ-Screenshots

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(Foto: www.youtube.com)

Zwischen Verlagen und Lesern brummt es also nur so vor Aktivitäten rund um die Autoren im Internet. Bloß fehlen diese Autoren selbst. Galt nicht immer Christian Kracht als Großmeister der Selbstdarstellung, muss man nicht einfach ihn anklicken, um zu wissen, wo es langgeht? Kracht übermittelt zwar bisweilen gekonnt lakonische Reisemeldungen auf Facebook, dafür aber gleicht seine eigene Homepage einem Friedhof: Ein paar ältliche Dandysprüche, Publikationsliste, Sekundärmaterial, Link auf die - freilich virtuos komponierte - Wikipedia-Biographie, und als Kuckucksei noch ein vom Verlag fad und deutlich fremdinszenierter Videotrailer. Stand: 2008/2009, als der letzte Roman erschien. Was nicht mit dem mysteriösen Verschwinden eines Autors verwechselt werden sollte. Oder verschwinden die jetzt alle auf einmal? Innerhalb weniger Jahre sind deutsche Autorenhomepages zu bloßen Visitenkarten ihrer Namensgeber abgesunken. Keine Experimente, kaum Interessantes, wenig Aktuelles. Aktuelles jenseits von Facebook-Statusmeldungen überhaupt meist nur alle paar Jahre wieder anlässlich eines neuen Buches und der zugehörigen Lesetournee. Als der Schriftsteller Thomas Hettche vor ziemlich genau einem Jahr in der FAZ einen lauttönenden Abgesang auf die Literatur im Internet anstimmte, warnte er davor, dass die "tiefgreifende Veränderung des Verhältnisses der Leser zu Autor und Werk" im "unendlichen Mediengespräch des Netzes" die "unverwechselbare Physiognomie" wahrer Literatur unweigerlich zerstören müsse. Solche Untergangsvisionen gibt es, seit es Medienwechsel gibt. Nicht nur Hettches eigene funktional buchwerberische Webseite erzählt davon, wie ihnen von Autorenseite begegnet wird: schlichtweg gar nicht, per Maulwurfstrategie.

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(Foto: www.albert-ostermaier.com)

Die karge Landschaft deutscher Autorenhomepages bietet so ein geradezu spektakulär trostloses Panorama unversuchter Möglichkeiten. Obwohl sich vermutlich die meisten ihrer Besitzer als Schreibtischtäter viele Stunden täglich durch ihren Literaturbetrieb hindurch klicken, hat in den vergangenen Jahren geradewegs eine Regression hin zum schnöden reinen Arbeits-Portfolio stattgefunden. Begraben worden ist so nicht bloß die Hoffnung, im und durch das Netz anders schreiben zu können, sondern ebenso jeder Anflug, Autorschaft in einem alles prägenden, aufmerksamkeitszentrierten Massenmedium anders und neu zu denken. Wo bleibt denn etwa das deutschsprachige Literaturprojekt, bei dem falsche Foren-Freunde, Phantom-Webseiten und echte Romane erfundener Autoren den Leser so in den Irrealis führen, wie das im vergangenen Jahr der "My Darklyng"-Vampirroman des amerikanischen Slate-Magazins versuchte, der sich live auf Facebook vollzog? Warum bleibt es dem bisweilen so nervig pathetischen Schriftsteller Alban Nikolai Herbst überlassen, in seiner ganzen Lebenspraxis in sein Weblog abzuwandern und dort an einer Poetik der Durchdringung von Digitalem und Analogem zu arbeiten? Weshalb schließlich wäre ein derart eindringliches und neuartiges Kunstwerk wie Michaela Meliáns virtuelles Denkmal für die Opfer des Nationalsozialismus "Memory Loops" für die deutschsprachige Literatur nicht einmal im Ansatz denkbar? Es muss Gründe dafür geben, warum die deutschsprachigen Autoren ihre Autorenseiten vor allem anderen dazu benutzen, möglichst stumpfe und eindeutige Images ihrer selbst zu entwerfen, verkörpert in den lediglich graduellen Abweichungen der Gestaltungen und der Wahl der Bildmotive. Der Lyriker und Dramatiker Albert Ostermaier macht auf cool und zeigt Herren in Graufilter und Trenchcoat,  ...

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(Foto: www.susanneheinrich.com)

... die langjährige Jungautorin Susanne Heinrich macht auf Jungautorin und zeigt ihre Schenkel. Daniel Kehlmann ist ein souveräner Klassiker und stellt seinem Schwarzweißporträt ein tiefsinnig-ironisches Eigenzitat zur Seite, Thomas Glavinic leidet unter Bucherfolgsmanie und fleht neben seinem Foto um Verlinkung auf andere Homepages. Anzuklicken bleiben wieder und wieder lediglich Lesungstermine, Biographie, Pressestimmen und Veröffentlichungen. Man sollte diese vier Menüpunkte nicht unterschätzen, sind sie doch immerhin als basale Apparatur eines ganzen Kulturmilieus weltweit einzigartig. Es handelt sich bei ihnen um die pure Essenz aller Funktionen des nach wie vor nicht kahlgeschlagenen, im Gegenteil förderfreudigen, bei seinen Stipendienvergaben und Lesungseinladungen humanistisch inspirierten Literaturbetriebs. Ein Autor, der seine Webseite danach ausrichtet, ein möglichst nachvollziehbares Image von sich zu entwerfen, bibliographische Information zu gewährleisten und außerdem auf die nächste Lesung in der Stadtbibliothek hinzuweisen, vertritt diesen Betrieb in seiner derzeitigen Spätphase. Literaturarchiv Marbach, übernehmen Sie! Die Trostlosigkeit dieser Webseitenwüste bietet ein Sittenbild zwischen alter Bundesrepublik und digitaler Zukunft, das unbedingt abgespeichert gehört. Womit wir bei den Ausnahmen wären, bei denen wiederum wir aus Gründen der Abwechslung Elfriede Jelinek und Rainald Goetz überspringen. Die gut zwei Dutzend avantgardistischen, sperrigen, oft einfach grandios verstiegenen literarischen Blogs nämlich, die Christiane Zintzen und Hartmut Abendschein unter litblogs.net kuratieren, werden schon lange komplett vom Literaturarchiv Marbach gesammelt. Sie werden aber gerade umgekehrt archiviert, weil sie die allgemeine Aufmerksamkeit vollkommen unterschneiden, mit keinem Bein im herkömmlichen Print- und Förderlager stehen.

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(Foto: www.warriorcats.de)

Fragt man den Berner Hartmut Abendschein, Jahrgang 1969, dessen literarisches Schreiben im vergangenen Jahrzehnt vor allem in seinen digitalen Wiki-Lexikon-Roman "bibliotheca caelestis" und inzwischen in sein literarisches Weblog "taberna kritika" eingegangen ist, warum er sich das Internet als Arbeitsort erwählt hat, so erklärt er sehr freundlich, dass er gedruckte Bücher auch möge, ihn aber am blogförmigen Schreiben nach wie vor die "Offenheit von Text" und die "Aktivierung der Leser" interessiere. Auch Facebook- und Twitterstreams könnten für ihn Literatur produzieren, eher wäre die Frage, ob solche "eher flüchtigen Dinge" künftig mehr Chance bekämen, von der "literarischen Öffentlichkeit mit ihrem Leitmedium Buch auch akzeptiert zu werden". Ja, wie steht es denn nun um die Zukunft der Autoren im Internet? Ulrike Schaub vom Beltz Verlag muss das genau wissen. Sie vertritt nämlich als Pressesprecherin ein Programm, das man auch als Zukunftspanel bezeichnen könnte: Die "Warrior Cats"-Jugendbücher sind derzeit eine extrem beliebte Reihe für Kinder und Jugendliche zwischen zehn und 14 Jahren. Beltz hat dazu ein gewaltiges, schnell wachsendes Online-Forum auf die Beine gestellt. Schaub erklärt: Gemeinsam diskutieren die jungen Leser die Reihe und ebenso auch alles andere, nebenbei wird ein eigenes Wiki-Lexikon mit Informationen zur Fantasy-Katzenwelt erstellt - insgesamt haben die Kinder auf der Seite bislang unfassbare 930000 Beiträge verfasst. Auch wenn die Schriftsteller von heute nicht im Internet schreiben, die Leser von morgen werden es mit Sicherheit tun.

© SZ vom 5.4.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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