Lettland:Große Opfer

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Wir haben viel auf uns genommen, um in die EU aufgenommen zu werden, sagt Dirigent Ainars Rubikis. Die Kultur hat es wie immer am härtesten getroffen.

Von Ainars Rubikis 

Als Kulturschaffender ist es für mich wunderbar, dass ich jederzeit überallhin reisen kann. Dabei trage ich nicht nur meinen Namen, sondern auch den Namen meines kleinen Landes hinaus in die ganze Welt.

Ich verbringe die Hälfte meiner Zeit in Lettland, wo ich mich eigentlich vor allem erhole, und die andere Hälfte der Zeit in Europa, wo ich dirigiere und arbeite. Wenn Sie so wollen, ist Europa für mich vor allem ein Arbeitsplatz.

Vielen Menschen in Lettland liegt Europa natürlich auch deshalb so am Herzen, weil sie immer das große Russland an ihrer Seite spüren. Das weiß ich. Aber wenn Sie mich persönlich nach Russland fragen, bekommen Sie die Antwort eines Menschen aus der Kultur: Ich arbeite und lebe in Europa und in Russland gleichermaßen. Drei Jahre lang war ich beispielsweise in Nowosibirsk tätig, da habe ich unter anderem den "Tannhäuser" dirigiert. Der wurde ja vor Kurzem abgesetzt, aber bald werde ich am Bolschoi-Theater in Moskau dirigieren. Meine Verbindungen nach Russland sind sehr wichtig für mich, sie nützen mir. Russland, Lettland, Europa - für mich ist das alles ein gigantischer künstlerischer Raum.

Aber natürlich haben die Letten einen speziellen Blick auf Europa. Als wir in die EU eingetreten sind, mussten wir harte Sparmaßnahmen auf uns nehmen. Wir sind einigermaßen durch die Wirtschaftskrise vor drei oder vier Jahren gekommen, obwohl es schon absurd war, dass die größte Krise ein so kleines Land trifft. Vor allem die Kultur ist damals sehr unter die Räder gekommen. Die Kultur trifft so etwas ja immer am härtesten. Natürlich wurden damals alle Budgets von Theatern und Orchestern heruntergefahren, viele Mitarbeiter wurden entlassen, die Gehälter gekürzt.

Wissen Sie, dass wir vor der Krise sogar einen neuen Konzertsaal in Riga bauen wollten? Es gab damals sogar schon einen Plan. Darüber spricht natürlich jetzt kein Mensch mehr. Der Plan liegt irgendwo hinten im Regal.

Die Sparmaßnahmen in der Kultur wurden bis heute nicht zurückgenommen

Ich weiß, dass es in München auch eine Riesendebatte um einen neuen Konzertsaal gibt, Deutschland ist so ein reiches Land, und ein so berühmter Dirigent wie Mariss Jansons hat sich dafür eingesetzt. Eigentlich verstehe ich nicht, wieso der nicht sofort gebaut wird.

Lettland jedenfalls ist bis heute nicht zum Zustand vor der Krise zurückgekehrt, die Kürzungen in der Kultur wurden nicht zurückgenommen. Ein Freund von mir, ein Dirigent, hat all das Geld, das er zur Hochzeit geschenkt bekommen hat, in irgendein Kulturprojekt gesteckt. Vieles hängt ohnehin davon ab, wie sehr die Menschen sich engagieren. Wenn man für etwas brennt, wenn man genügend Leidenschaft und Charisma hat - zum Beispiel so wie Christian Stückl in Oberammergau -, dann geht auch was.

Das alles muss man wissen, wenn man wissen will, wie wir auf Griechenland schauen. Ich kann nicht für mein ganzes Land sprechen, aber offenbar gibt es nicht einmal genügend Informationen darüber, wie Griechenland damals überhaupt in die EU gekommen ist, da war ja wohl vieles möglich. So wie heute offenbar auch.

Ich weiß, dass es Menschen gibt, die den Untergang oder das Auseinanderfallen Europas fürchten. Und das kann ich gut verstehen. Wenn ich daran denke, wie viel ich in Europa arbeite, dann mache ich mir natürlich auch so meine Gedanken, wie ich auf eine plötzliche Wendung reagieren würde. In Lettland reden die Menschen ganz unterschiedlich über Europa, einige sagen auch bei uns, das Modell hat sich überholt, es braucht Reformen, Innovationen. Aber wie und wer - das wissen wir nicht.

Ainars Rubikis, geboren 1978 in Riga und Dirigent, studierte an der Lettischen Musikakademie und absolvierte Meisterklassen bei Mariss Jansons. Seit 2012 war er Musikdirektor des Opernhauses im russischen Nowosibirsk, wurde im April jedoch entlassen, nachdem die "Tannhäuser"-Inszenierung auf Druck der orthodoxen Kirche abgesetzt wurde. Derzeit dirigiert er Christian Stückls "Nabucco"-Inszenierung im Passionstheater Oberammergau.

Protokoll: Sonja Zekri

© SZ vom 11.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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