Landkreis Freising:Den spaltenden Kräften trotzen

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Eine Szene aus dem Siegfriedprojekt von 2017 mit Erwin Aljukic (rechts) in der Rolle des Alberich. (Foto: Marco Einfeldt)

Thomas Goerge setzt auf das Verbindende der Kultur. In seinem Siegfriedprojekt hat er Geflüchtete, Einheimische, Menschen mit und ohne Behinderung zusammen auf die Bühne gebracht

Von Birgit Goormann-Prugger

Thomas Goerge hatte für die Tassilo-Preisverleihung extra eine kleine Dankesrede vorbereitet - und dann fand er den Zettel nicht mehr, als er auf der Bühne stand. Was er dem Publikum aber unbedingt hatte sagen wollen, war Folgendes: "Das Preisgeld der SZ fließt gleich ins nächste Projekt, denn wir werden weitermachen, weil wir in einer Zeit, in der bestimmte Kräfte ganz bewusst spalten und trennen wollen, mit Theater, Kunst, Musik und Sport dagegen halten und verbinden müssen." Das sagt viel aus über die Arbeit von Thomas Goerge, der für sein Integratives Siegfriedprojekt mit Geflüchteten, Einheimischen, Kindern, Erwachsenen und Menschen mit und ohne Behinderung in Hallbergmoos mit dem Kultursozialpreis ausgezeichnet worden ist.

Zur Preisverleihung mitgebracht hatte er einen seiner Darsteller, Saad Aljafry, einen jungen Jesiden, der 2015 auf dem beschwerlichen Weg über die Balkanroute mitten im Winter aus dem Irak geflüchtet ist. Weil er vor der Terrormiliz IS nicht sicher war, hat der heute 19-Jährige den Irak verlassen. In Hallbergmoos hat er eine neue Heimat gefunden, lebt dort derzeit im Haus Chevalier, einer Einrichtung für Jugendliche und unbegleitete Flüchtlinge. Er macht eine Ausbildung zum Elektriker, spielt eben Theater und macht auch mit bei der Feuerwehr Goldach.

Goerge hatte vor der Siegfriedaufführung dort im Haus Chevalier in Hallbergmoos einen Workshop mit den Jugendlichen veranstaltet. "Saad ist mir da sofort aufgefallen, der wollte unbedingt mitmachen, der hatte da Bock drauf", erzählt Goerge. Im Siegfried spielte Saad Aljafry zunächst nur die vergleichsweise kleine Rolle des Riesen. Einige Monate später bei der Inszenierung von Franz Kafkas Roman "Der Verschollene" im Furtnerbräu war es dann schon die Hauptperson Karl Rossmann, der, von seiner Familie verstoßen, in die Neue Welt aufbricht, um die Freiheit zu suchen, nach der er sich sehnt. Also auch eine Flüchtlingsgeschichte. "Da waren auch deutsche Schauspieler dabei, aber Saad war der Einzige, der immer den ganzen Text parat hatte, ohne Hänger", so Goerge. Die Kafka-Trilogie im Furtner will er mit dem "Prozess" fortsetzen, dabei eventuell auch den syrischen Friedenschor einbinden, der ihm bei der Tassilo-Preisverleihung so gut gefallen hat. "Wir wollen zeigen, das wir nicht nur Flüchtlinge sind, sondern ganz normale Menschen", hatte einer der Sänger gesagt, nachdem sie die Europahymne "Ode an die Freude", gesungen hatten. Für Goerge war das "der Satz des Abends". Das Thema Flucht und die Ursachen dafür werden den Freisinger Tassilo-Preisträger auch weiter beschäftigen "Es ist einfach wahnsinnig aktuell, es ist das, was jetzt passiert." Mit der Aufführung von Kafkas "Prozess" im Furtner wird es in diesem Jahr aber wohl nicht mehr klappen, sondern erst 2019, denn Goerge arbeitet zurzeit an einem neuen Opernprojekt, das auf zwei Jahre angelegt ist. Das übergreifende Thema ist die Kolonialisierung und das, was damit einherging, die Ausbeutung Afrikas, eine der Fluchtursachen von heute.

Ein afrikanisch-europäisches Künstlerkollektiv um Thomas Goerge und den Filmemacher Lionel Somé aus Burkina Faso verbindet sich hier mit der Oper Halle und der Oper Lübeck, um in verschiedenen künstlerischen Veranstaltungsformaten das koloniale Erbe der europäischen Oper zu untersuchen. Höhepunkte sind eine szenisch-musikalische Übermalung der französischen Oper "L'Africaine" von Giacomo Meyerbeer und eine experimentelle Uraufführung von "L'Européenne" in Zusammenarbeit mit dem südafrikanischen Komponisten Richard van Schoor und vielen Darstellern aus Afrika. Der Stoff der "L'Africaine" kreist um den portugiesischen Entdecker Vasco da Gama, dessen Sehnsucht nach fremden Erdteilen unstillbar ist. Das Projekt wird von der Bundeskulturstiftung mit 240 000 Euro gefördert. Mit dem Komponisten Richard van Schoor hatte Goerge erst kürzlich in Trier zusammengearbeitet. Für das Theater dort haben die beiden den Wagner'schen Ring überarbeitet und mit aktuellen und interkulturellen Links versetzt, was so noch nicht zu sehen war. Das soll jetzt auch mit Meyerbeers Oper "L'Africaine" passieren. "Die Oper ist ja eigentlich eine heilige Kuh, die man nicht antasten oder verändern darf", sagte Goerge, der das anders sieht. Und so sollen die Zuschauer in Halle erleben, wie in vier Inszenierungen aus der klassischen Meyerbeer-Oper schließlich die moderne Filmoper "L'Européenne" wird, die dann in Lübeck gezeigt werden soll. "Die letze Szene der "L'Africaine" ist praktisch die erste Szene von "L'Européenne", erzählt Goerge.

Das Team reist dafür auch nach Afrika, "wir brauchen für die Filmoper ja auch die Bilder" erzählt Goerge. Die holt er sich unter anderem in Ghana. In der Hauptstadt Accra liegt eine der größten Elektroschrott-Müllkippen Afrikas. Hier verbrennen Kinder und Jugendliche ausgediente Altgeräte aus Europa, um an verwertbares Metall zu kommen. Sie verdienen damit etwas Geld, doch zahlen dafür mit ihrer Gesundheit. Auf dieser Müllhalde schuftet auch Goerges Hauptfigur der "L'Européenne". Er hält es dort nicht mehr aus und will nach Europa, über das Meer, in einem kleinen Schlauchboot . . .

© SZ vom 20.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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