Kunstmarkt:Sündteure "Sünde"

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Emil Noldes "Helles Sonnenblumenbild" von 1936 erzielte bei Villa Grisebach 1,04 Millionen Euro. Abb.: Nolde/Villa Grisebach (Foto: N/A)

Vormarsch der Zeitgenossen: Im Auktionsjahr 2015 sorgten Werke der Moderne für die größte Dynamik. In der Alten Kunst blieben die Erlöse jedoch hinter den Erwartungen zurück.

Von Dorothea Baumer

Der Auktionsherbst in den deutschen Häusern hielt 2015, was das Frühjahr versprach. Zwar fielen die höchsten Zuschläge bereits im Juni, mit 1,5 und 1,2 Millionen Euro für einen Günther Uecker aus den Sechzigern und einen "Concetto spaziale" von Lucio Fontana bei Ketterer in München. Insgesamt aber zog moderne, vor allem zeitgenössische Kunst mächtig an. Die Alte Kunst blieb dagegen vergleichsweise bescheiden, es ist da vieles im Umbruch. Gemälde alter und neuer Meister wurden durchwegs selektiv beboten. Allein Ausnahmestücke bewegten die Interessenten. Das konnten neben der Qualität namhafte Provenienzen sein, wie bei Lempertz im November, wo eine feine gotische Goldgrundtafel des Florentiners Andrea di Bonaiuto, einer "Madonna mit Kind, Heiligen und Engeln", die mal Franz von Lenbach gehörte, 484 000 Euro erlöste.

Auch ein ungewöhnliches Sujet erhöht die Chancen, wie das eindrucksvolle Ölbild eines Kamels des Tiermalers Friedrich Voltz zeigt, das bei Karl & Faber mit 27 000 Euro mehr als die vierfache Taxe brachte. Nicht zu reden von Franz von Stucks zwischen 1891 und 1912 in verschiedenen Versionen gemaltem Erotik-Bestseller "Die Sinnlichkeit" alias "Die Sünde", der einen deutschen Höchstpreis von 543 000 Euro erzielte. Auch das krass theatralische Trinkerbild des französischen Historienmalers Théodule Robot wäre zu nennen, ein Schocker im eher flauen 19. Jahrhundert-Angebot bei Villa Grisebach, den sich ein (nicht genanntes) deutsches Museum erstaunliche 200 000 Euro kosten ließ. Eine starke Nachfrage nach qualitätsvollen Gemälden des 19. Jahrhunderts konnte vor allem Neumeister verbuchen, wo in einer Sonderauktion einhundert Lose der Sammlung Georg Schäfer angeboten und bestens abgenommen wurden. Aber das waren Ausnahmen, auf die Alte Kunst insgesamt trifft das nicht zu. Wo auch immer Schätzpreissummen veröffentlicht wurden, blieben die Ergebnisse hinter den Erwartungen zurück. Die Sammler alten Schlages sterben aus, Kunstgeschmack, Wohn- und Lebensstil haben sich nachhaltig verändert.

Die Sammler alten Schlages sterben aus, Kunstgeschmack und Lebensstil verändern sich

Das Interesse an Druckgrafik etwa ist weltweit rückläufig, wie man im darauf spezialisierten Hamburger Traditionshaus Hauswedell & Nolte konstatiert. Erstaunlich auch die Beobachtung bei Lempertz, dass immer weniger Interessenten zu den Vorbesichtigungen kommen.

Wie auch auf den internationalen Bühnen, entfalteten die moderne und zeitgenössische Kunst die stärkste Dynamik. So setzte Villa Grisebach in Berlin mit seiner Jubiläumsauktion 23,4 Millionen Euro um, schloss Ketterer in München mit einem Rekordergebnis von rund 24 Millionen, summierten sich bei Van Ham in Köln die Zuschläge auf 9,4 Millionen zum bisher besten Ergebnis. Die mit bis zu 1,5 Millionen Euro teuersten Bilder in diesem Herbst bot Villa Grisebach. Steigerungspotenzial hatten sie nicht, sie wechselten gefechtslos in anderen Hände: das unvollendete Max-Beckmann-Mädchen zur unteren Taxe, mit Aufgeld für 1,23 Millionen, Emil Noldes "Helles Sonnenblumenbild" bei 850 000, für brutto 1,04 Millionen Euro. Einsätze weit über der Taxe erforderten Max Liebermann oder auch, in stetem Aufwärtstrend, Karl Hofer. Für Höhenflüge sorgten zwei Außenseiter mit streng konstruktiven Gemälden aus den Zwanzigern: Walter Dexel und Friedrich Vordemberge-Gildewart. "Elektrischer Zähler" und "Composition No.42" kosteten nicht 80 000, sondern 697 000 und 350 000 Euro.

Unterschiedlich gut lief es in den Kölner Häusern. Ihr attraktivstes Los hatte Lempertz' nicht allzu glanzvolle Offerte in August Mackes Zeichnung "Spaziergänger unter Bäumen", die zu einem Rekordpreis von 273 000 Euro animierte. Ziemlich wählerisch wurde Zeitgenössisches gesichtet, in dem Zero-Kunst dominierte und teils ernüchterte. Während frühe Arbeiten von Heinz Mack mit 310 000 und 248 000 locker über die Taxen stiegen, wurden zu hohe Erwartungen enttäuscht: Otto Pienes graues Feuerbild "Retinal Sun" (200 000) scheiterte ebenso wie Günther Ueckers schratiges "Wald"-Bild (450 000). Die Zero-Welle machte auch bei Van Ham nicht Halt. Auch hier war es Heinz Mack, der mit einer frühen "Dynamischen Struktur" zum Höchstpreis (220 000) aus dem Rennen ging. Ein frühes Beuys-Aquarell, "Granit IV", und Gerhard Richters atelierfrische "Cage-Edition" ergänzten mit 130 000 und 575 000 den Vormarsch der Zeitgenossen.

Wie gefräßig der Markt auf die derzeitige Bilderflut reagiert, zeigte München, wo Ketterer mit zwanzig Gabriele Münter-Gemälden und 120 Zero-Arbeiten antrat. Wie bei Karl & Faber Münters "Abendwolken" (482 000), reüssierten die Moderne-Gemälde von Erich Heckel (750 000), Münter, aber auch Feininger und Walde mühelos, während Werke der Zwischenkriegszeit von Georg Schrimpf und Karl Hubbuch mit hohen Steigerungen auffielen. Otto Pienes rotschwarzes Feuerbild "Wave of Darkness" stieg mit brutto 625 000 Euro auf einen Höchstpreis, sein für 825 000 Euro übernommenes Schwarz-Weiß-Bild "Dynamisches Volumen", ist Weltrekord. Eröffnet wurde die Auktionsserie bei Neumeister mit einer Sonderauktion expressionistischer Grafik aus dem Privatnachlass von Günther-Lothar Buchheim, die Bieter aus Europa und den USA anzog und mit rund 820 000 Euro fast den doppelten Schätzwert einfuhr. Ein starkes Finale 2015.

© SZ vom 02.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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