Kunstmarkt:Das Gefühl, auf der richtigen Party zu sein

Bilddatei ACo_F_8:Anne CollierWoman Crying #2, 2016

Auch die Galerie Neu leistet sich zwei Spielorte: Anne Colliers "Woman Crying #2" (2016) hängt in Mitte, Victor Mans Malerei am Mehringdamm.

(Foto: Courtesy the artist and Galerie Neu, Berlin)

Beim Berliner Gallery Weekend geht es nicht ums Kaufen - sondern um die Nähe zu den Künstlern.

Von Catrin Lorch

Es ist ja ein Irrtum, dass es auf dem Kunstmarkt ums Einkaufen geht: Wer sich für Renditen und guten Geschmack interessiert, sollte so viel Geld wie möglich einem gut vernetzten Galeristen überweisen und ab und an Nägel in die Wand hauen oder ein paar Flachbildschirme unsichtbar verkabelt im Keller anbringen.

Wer sich nur für Wertsteigerung interessiert, braucht nicht mal Nagel oder Keller, sondern investiert in ein paar Quadratmeter Lagerfläche in einem Freihafen. Die Szene dagegen braucht Veranstaltungen - Messen, Vernissagen und Auktionen. Damit man verhandeln kann: Wer dazugehört, wie die Aktien stehen. Wie nahe ein jeder bei der Kunst ist und den Künstlern.

Nur Vulkanausbrüche konnten die Amerikaner vom Gallery Weekend abhalten

Das Gallery Weekend, das vor zwölf Jahren in Berlin als Frühlings-Event erfunden wurde, hat davon gezehrt. Gemeinsame Eröffnungen gab es ja auch schon andernorts. Aber das Weekend verlieh der Sache - mit einem Gala-Dinner, VIP-Shuttle und Events - mehr Glamour. Und setzte andererseits auf den Unique Selling Point der Stadt: die Künstler.

Das funktionierte sogar international bestens. Nicht nur deutsche Sammler wollten dabei sein. Höchstens Vulkanausbrüche auf Island konnten Amerikaner, Italiener, Franzosen davon abhalten, in die Stadt zu reisen, die der Szene so vertraut ist, weil der Hinweis "lebt und arbeitet in Berlin" noch jede Künstlerbiografie ebenso zuverlässig beendet wie die Formel "und wenn sie nicht gestorben sind" die Märchen.

Wenn sich also, wie in diesem Jahr, 54 Galerien zusammenfinden, um mitzumachen, klingt das nach einer zuverlässigen Veranstaltung. Tatsächlich scheuen alle, die vom mit Galeristen besetzten Kuratorium ausgewählt werden, auch keine Anstrengung. Michael Haas hat Werke der großen Malerin Paula Modersohn-Becker im Angebot, Max Hetzler den Autor Edmund de Waals zur Soloschau überredet. Viele leisten sich gleich zwei Schauplätze, Johann König und Eigen + Art kombinieren ihre Einzelausstellungen von K. H. Hödicke beziehungsweise Carsten Nicolai noch mit kompletten Gruppenschauen.

Teil des Auftritt oder letzter Rest des Berliner Ruinencharmes?

Isabella Bortolozzi hat nicht nur den Altbau am Schöneberger Ufer von Oscar Musillo mit rostigen Gestellen und ölschwarz getränkten Stoffen zugebaut, sondern kubikmeterweise Holzlatten, Plastikspielzeug, Zeltbahnen und ein Gummiboot in ihre Dependance "Eden Eden" transportiert. Stephen G. Rhodes haute daraus eine Installation zusammen, die als Gegengewicht zu den irrsinnigen Filmkulissen gedacht ist, die der Regisseur Robert Altmann nach dem Dreh von "Popeye" Ende der Siebzigerjahre auf Malta zurückließ.

Schöner Effekt: Wie bei Helga Maria Klosterfeldes kleinem Laden an der Potsdamer Straße, wo auf der Scheibe die Schildchen von Kreditkartenunternehmen kleben, fragt man sich auch hier, ob die in die Schaufensterscheibe geätzte Beschriftung "Biochemie" Teil des Auftritts ist oder letzter Reste des Ruinencharmes, den alle an Berlin so ungeheuer schätzen.

Der Doppelauftritt der Buchmann Galerie ist dagegen nicht nur bemerkenswert, weil neben Bettina Pousttchi auch Daniel Buren ausstellt. Sondern weil Buchmann tatsächlich drei frühe Streifenbilder des Künstlers im Angebot hat, in nachgerade museal erschlafften Farben.

Eine Installation wie eine Urversion von Youtube

Unweit davon begegnen sich dann die künftigen Klassiker über die Friedrichstraße hinweg: Miriam Cahn (bei Meyer-Riegger) und Olaf Holzapfel (bei Daniel Marzona) sind beide in der nächsten Documenta vertreten.

Das "Film Lexicon of Sexual Practices" von Maria Eichhorn wiederum ist einerseits aktuell, andererseits auch schon ein Klassiker: Erstmals im Jahr 1999 im Frankfurter Portikus ausgestellt, hat die Künstlerin ihre filmische Bestandsaufnahme von Sexpraktiken immer wieder erweitert, zuletzt 2015. Die zwanzig 16-Millimeter-Filme tragen Titel wie "Ear Licking" oder "Wax Play" und zeigen genau das: Wie jemand das Ohr eines anderen leckt oder heißes, rotes Kerzenwachs über einen nackten Rücken tropft.

Bilder sezieren die Lust

Die Installation funktioniert wie eine Urversion von Youtube - man darf wählen, was man zu sehen bekommt. Aber man ist nicht allein vor einer Screen, sondern steht mit dem Filmvorführer und anderen Besuchern in der taghellen Galerie. Zwei Minuten und 40 Sekunden - so lange dauert jeder Film - können sehr lang sein, wenn man sich beim Zuschauen gegenseitig im Auge behält, während die Bilder Lust sezieren, als sei die Projektionsfläche ein Operationstisch.

Aber die Frage nach dem Gelingen eines Gallery Weekends hängt nicht nur von der Qualität der Ausstellungen ab. Sondern auch davon, ob die Angereisten das Gefühl haben, auf der richtigen Party gewesen zu sein. Oder ob es eben doch etwas zu lange dauerte, bis im Privatmuseum der Feuerles die Vorspeisen serviert wurden und die Chinesen, die dort rauchend im Rolls Royce vorfahren, sich hinterher als neureiche Angeber entpuppten.

Dass es gut läuft, reicht in der Konkurrenz der Events nicht - was von den feinfühligeren Gastgebern auch bemerkt wird. Was an Glanz fehlte, kompensierten sie durch Nähe: Die Galerie Buchholz stellt Wolfgang Tillmans aus, der gerade in Europa gefeiert wird, weil er mit Plakaten zum Runterladen gegen den Brexit protestiert. Die Galerie öffnet jetzt die Tür zu seinen Ateliers einen Spalt breit, indem sie Fotos aus seinen Londoner und Berliner Studios hängt, unaufgeräumte Motive voller Klebezettel, Pflanzen und abblätterndem Lack an den Fensterrahmen.

Noch mehr Dabeisein zelebriert die Galerie Neugerriemschneider, in der noch ein paar heliumgefüllte Ballons auf halber Zimmerhöhe schweben. Sie zeugen von der Geburtstagsfeier des Frankfurter Stars Tobias Rehberger. 60 Künstler hatte er eingeladen - von Liam Gillick und Luc Tuymans bis Isa Genzken - und gebeten, ihn mit einem Geschenk zu überraschen. Die Ballons sind von Philippe Parreno, Haegue Yang brachte eine riesige Strohpuppe, Danh Vo gab dem einstigen Lehrer den Meisterschülerbrief zurück.

Vor diesen Gaben liegen die großen bunten Pakete, die Rehberger umgekehrt für seine Gäste bastelte. Und weil er jeweils zweimal das Gleiche zusammenklebte, können jetzt auch Sammler beim Auspacken dabei sein. Die bonbonbunten Päckchen sind also Sammlerware für Verschmähte: "Nein, wir hatten keine Einladung für dich. Aber du darfst dir ein Andenken kaufen."

Bis 1. Mai. gallery-weekend-berlin.de

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