Kunstgeschichte:Mona Lisas Rehaugen

Lesezeit: 1 min

Der Kunsttechnologe Pascal Cotte meint, unter der "Mona Lisa" im Louvre ein anderes Frauenbildnis entdeckt zu haben. Seine Rekonstruktion zeigt ein braves, junges Mädchen - und erzählt mehr über uns als über da Vinci.

Von Kia Vahland

Erstaunlich ist, welcher Frauentyp Leonardo da Vinci neuerdings unterstellt wird: Immer sind es Mädchen, die selbst für die Verhältnisse des frühen 16. Jahrhunderts auffällig rehäugig, ernst und keusch in die Welt schauen. So war es im Fall der "Bella Principessa", einem Porträt auf Pergament in Privatbesitz, das seit geraumer Zeit als angeblich neu entdecktes Da-Vinci-Original um die Welt tourt (und von dem gerade ein britischer Fälscher behauptete, es geschaffen zu haben).

So ist es nun auch bei dem einflussreichsten aller Frauenbildnisse, der Gioconda alias Mona Lisa aus dem Louvre. Pascal Cotte, der das Original vor zehn Jahren mit seinen Kollegen kunsttechnologisch untersuchen durfte, reicht jetzt einen Befund nach. Eine Lichtanalyse hätte eine Unterzeichnung offenbart, die sich zu einem später übermalten Bildnis rekonstruieren ließe. Zu sehen ist eine viel jüngere Person, Kindchenschema, brav, ohne das geheimnisvolle Lächeln auf den Lippen.

Nur ist dies ein Bild aus dem Labor, nicht eines des größten Frauenmalers aller Zeiten. Sollte es tatsächlich eine Unterzeichnung geben, fragt sich nicht nur, warum sie vor zehn Jahren nicht veröffentlicht wurde. Fraglich ist auch, was diese angebliche Unterzeichnung, außer einer ausschweifenden kunsttechnologischen Fantasie, mit Cottes rekonstruiertem Idealbild zu tun hat. Unterzeichnungen sind oft unscheinbar, nur in wenigen Strichen erhalten, sie müssen kunsthistorisch interpretiert werden. Für eine "völlig überzogene Schlussfolgerung" hält der Leipziger Kunsthistoriker Frank Zöllner Cottes Vorschlag und warnt davor, auf dieser empirisch vagen Grundlage die Geschichte des Gemälde umschreiben zu wollen.

Die Gioconda ist immer für Aufregung gut, mal werden anderswo angebliche Urfassungen des Gemäldes gefunden, mal soll sie ein Selbstbildnis des Künstlers oder sonst etwas zeigen. Die allermeisten solcher Behauptungen haben eher belletristischen als historischen Wert. Interessant sind sie trotzdem, weil sie etwas über das Vorstellungsvermögen unserer Zeit ausdrücken, und es kann nur in Leonardos Sinn sein, dass sein Bild auch heute noch die Menschen umtreibt. Nicht in seinem Sinn ist es jedoch, die Komplexität dieses Jahrtausendgemäldes zu reduzieren. Und dass gegenwärtige Idealbilder des Weiblichen offenbar so viel harmloser ausfallen als das, was da Vinci den Frauen einst zugestand - das ist dann doch etwas peinlich, für unsere Zeit.

© SZ vom 09.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: