Kunstgeschichte:Der Bild-Respektierer

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Hans Belting gehört zu den wichtigsten Stimmen seiner Wissenschaft. (Foto: Uli Deck/dpa)

Der Kunsthistoriker Hans Belting hat sein Fach geöffnet und dort den Blick für das Heute geschärft.

Von Kia Vahland

Die Kunstgeschichte mag eine Geisteswissenschaft sein, aber sie ist doch in ihrem Wesen anders als Philosophie, Literatur oder andere Fächer der Geistesarbeit. Sie ist eine Wissenschaft der Sinne, meistens des Auges, aber nicht nur, und sie sorgt sich um die Welt der nicht ganz so toten Dinge: Skulpturen und Gemälde, Reliquienbehälter und Fotografien, Häuser, Schreine und Videoinstallationen. Sowie inzwischen auch um Bilder aller Art: Von Röntgenaufnahmen über Computerspiele bis hin zu nur mentalen Vorstellungen kann alles Visuelle ihr Thema werden.

Das erfordert einen Zugang, der sich grundsätzlich von dem der Textarbeiter unterscheidet, nämlich die Bereitschaft, vom Werk, vom Bild auszugehen und ihm nicht vorgefertigte Gedanken überzustülpen. Dies geht nicht ohne Respekt vor der Andersartigkeit des Bildes, vor all dem, was nie gänzlich in Sprache übersetzbar ist. Das führt dazu, dass die Kunstgeschichte oft eine gewisse Hemmung gegenüber schneller Theoriebildung pflegt.

Umso wichtiger nicht nur für das Fach selbst sind jene Autoren, denen beides zugleich gelingt: das Schauen und das schnelle Abstrahieren vom Gesehenen. Anders als in manchen anderen europäischen Ländern hat sich in Deutschland eine Bildwissenschaft etabliert, die Alt und Neu zusammendenkt. Warum gerade hierzulande? Zum einen gehört zum Nachkriegsdeutschland das Misstrauen gegenüber jenen visuellen Mitteln, denen die Nazis ihre Propagandaerfolge verdankten: Film, Fotografie, Kunstpolitik. Bilderforscher stehen also unter einem gewissen Rechtfertigungszwang. Zum anderen hat sich schon in der Weimarer Republik im Kreis um den Hamburger Kunsthistoriker und Bankierssohn Aby Warburg eine Kunstgeschichte etabliert, die den lieben Gott im Detail sucht und zugleich das große Ganze zusammenzuspinnen versteht.

Hans Belting, der heute seinen 80. Geburtstag feiert, ist neben Horst Bredekamp die wichtigste Stimme einer Wissenschaft, die in den Bildern der Welt vom Alten höchst differenziert auf die Gegenwart schaut. All seine Bücher sind anregend, etliche in einzelnen Schlussfolgerungen umstritten, was ihrer Notwendigkeit keinen Abbruch tut. Über "Bild und Kult" mögen manche Mittelalterexperten auch nach 25 Jahren noch diskutieren; es war trotzdem bahnbrechend, wie Belting die Funktionen der Bilder vor der Epoche der Kunstgeschichte, also vor der Renaissance, auffächerte - und den areligiösen Westen mit seiner eigenen kultischen Vergangenheit konfrontierte. Fast zwangsläufig daran an schloss sich fünf Jahre später "Die Erfindung des Gemäldes", ein Gemeinschaftswerk mit Christiane Kruse, das beschreibt, wie die alten Niederländer religiöse Vorstellungswelten mit ihrem Alltag synchronisierten und so die Malerei erdeten.

Über seine Thesen lässt sich manchmal streiten, über seine visionären Themen nicht

Belting hatte einst allen akademischen Gepflogenheiten zum Trotz eine klassische kunsthistorische Professur in München für ein medien- und bildwissenschaftliches Experiment an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe aufgegeben. Er machte ernst mit der Öffnung des Fachs, und zwar in alle Richtungen. Seine "Bildanthropolgie" von 2001 suchte nach dem Allgemeinmenschlichen im Umgang mit der Kunst und wies schon voraus auf den Abschied vom Abendland, der dem Fach bevorsteht - der eurozentrische Blick mag nur schwer aufzugeben sein, doch er genügt der globalen Vielfalt der Künste schon lange nicht mehr. In "Florenz und Bagdad" von 2008 ging es ihm um die Interaktionen der alten Meister mit der islamischen und arabischen Welt. Auch hier kann man über Beltings Material und einzelne Schlussfolgerungen streiten, kann übersehene Fakten und vorausgegangene Schriften anderer Forscher ins Feld führen - und muss doch anerkennen, dass dieser hochsensible Denker einen Nerv traf, und zwar Jahre bevor antiislamische Demonstrationen alle Gemeinsamkeiten von West und Ost leugneten.

Ebenso Beltings Porträtgeschichte "Faces" von 2013, die gleich eine "Geschichte des Gesichts" sein will: In Zeiten von Selfies und Facebook ist es wertvoll, die Vorgeschichte zu kennen und zu überlegen, was sich verändert hat und was auch nicht.

Belting hat sein Fach erfrischt, es befreit von der kleinmütigen Gewandfalten-Zählerei alter Schule. Sein seismografischer Blick auf das Heute nährt sich aus dem Gestern, ohne die Unterschiede zu leugnen. Gespannt erwarten wir seine kommenden Themen und Bücher.

© SZ vom 07.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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