Kulturpolitik:Politiker im Museum

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Die Wahl der neuen Chefs vom Londoner Victoria & Albert-Museum und den Tate-Galerien überrascht die britische Kulturszene. Die eine ist eine anerkannte Museumsleiterin, der andere aber machte sich in der Politik einen Namen.

Von Alexander Menden

Vergangene Woche wurden innerhalb weniger Tage Neubesetzungen an der Spitze zweier bedeutender britischer Kulturinstitutionen bekannt. Die - noch zu ratifizierende - Entscheidung für Maria Balshaw als Chefin der Tate-Galerien, und jene für Tristram Hunt als Direktor des Victoria & Albert Museums (V & A) sind gleichermaßen Lichtblicke in einem Kulturbetrieb, der von massiven Subventionskürzungen und Brexit-Unsicherheit gebeutelt ist. Und das, obwohl die beiden Berufungen auf denkbar unterschiedliche Weise zustande kamen.

Maria Balshaw war schon lange als Nachfolgerin des ewigen Nicholas Serota im Gespräch gewesen. In Verlauf des vergangenen Jahrzehnts hat sie, erst als Direktorin der Städtischen Museen von Manchester, dann als städtische Gesamt-Kulturbeauftragte, viel dazu beigetragen, dass aus der nordenglischen Metropole das wichtigste kulturelle Zentrum außerhalb Londons wurde. In Manchester wird man sie ungern an die Tate verlieren. Doch es sind hochmotivierte und energiegeladene Kuratoren von Maria Balshaws Kaliber, deren Ideenreichtum und Durchsetzungsfähigkeit der Kultur landesweit ihre Relevanz und Unabhängigkeit erhalten.

Tristram Hunt hatte im Gegensatz zu Balshaw niemand auf der Rechnung. Auch die Angestellten des V & A erfuhren erst am Tag der Berufung, wer ihr neuer Chef werden würde. Viele von ihnen hatten gehofft, der stellvertretende Direktor Tim Reeve werde dem im November überraschend zurückgetretenen Martin Roth nachfolgen. Der Althistoriker Reeve ist beliebt, gilt als hochkompetenter Organisator und war inoffiziell von seinem Vorgänger Roth favorisiert worden. Dass die Wahl nun auf den Labour-Politiker Hunt gefallen ist, der dafür sein Abgeordneten-Mandat in Westminster aufgibt, überrascht daher zwar, ist aber aus mehreren Gründen nachvollziehbar: Der 42-Jährige Historiker ist eine prominente, redegewandte Figur, hat sich mit Büchern über englische Geschichte und Architektur einen Namen gemacht - und er ist Brite. Nach Roth war die Berufung eines weiteren europäischen Ausländers an ein Nationalmuseum im derzeitigen Anti-EU-Klima wohl ohnehin ausgeschlossen. Obwohl Tristram Hunt noch nie eine große Institution geleitet hat, ist er gerade in der Museumswelt gut vernetzt: Er hat in der Jury gesessen, die alljährlich das britische Museum des Jahres kürt. Zudem kann es sicher nicht schaden, dass er auch Vorstandsmitglied der Heritage-Lottery-Stiftung ist, aus deren Töpfen staatliche Kultursubventionen verteilt werden.

Es gibt Zeiten, in denen man die Bestallung von Insidern und Establishment-Figuren mit Argwohn betrachten darf. Doch in solchen Zeiten leben wir nicht. Man wäre über ein Veto der britischen Regierung gegen eine linksliberale Kuratorin wie Maria Balshaw oder gegen einen ausgesprochenen Brexit-Gegner wie den Labour-Mann Hunt nicht überrascht gewesen. Dass die beiden neuen Direktoren sich an der populistischen bis provinziellen Kulturpolitik der Tories orientieren werden, ist jedenfalls kaum zu erwarten. Umso erfreulicher also, dass von Tate und V & A unter Maria Balshaw und Tristram Hunt auch künftig eine weltoffene, bisweilen risikofreudige und europafreundliche Ausrichtung zu erwarten ist.

© SZ vom 17.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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