Kultur:Und die Sonne lacht dazu

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Heimspiel beim "Chiemsee Summer", Neustart in Riem mit den "Munich Summer Beats": Zwei Festivals unter freiem Himmel machen am Wochenende Stimmung für Tausende

Von Michael Zirnstein und Karen Bauer

Chiemsee Summer

Eine Weile nachdem sich die Menge auf der Schotterebene ausgetobt hat, kommt auch Stefan Dettl hinter der Bühne wieder zu Sinnen. Der Boss von La Brass Banda sitzt auf einer Bierbank vor den Künstlerkabinen, er lächelt selig wie ein Lausbub nach geglücktem Streich. Dabei hat er diesmal gar nichts angestellt bei dem Open-Air. Im Gegenteil. Nach dem "Riesenscheißfehler vor zwei Jahren" wollte er sich heuer "brutal revanchieren". Er war also nicht wie bei besagtem verlallten Auftritt bereits nachmittags hergekommen, um mit all den alten Freunden anzustoßen. Zu viele Freunde, zu viel Anstoßen.

Aber hier trifft er sie eben, einmal im Jahr beim "Chiemsee Summer", den er "unser Festival" nennt. Hier war er als Bub vorbeigeradelt und hatte sich gedacht: "Do mecht i amoi spuiln." Prompt durfte er mit seiner ersten Dub-Reggae-Band, die im Überseer Bahnhofshäusl probte, auf der "Anfängerbühne" ran. Der Chiemsee Summer sei ausschlaggebend, dass viele Musiker aus der Region so Gas geben, so Dettl: Monobo Son, Django S., der Keller Steff, Lenze und de Buam, Mista Wicked oder Grup Huub machen die vier Tage für 25 000 Gästen zum Heimatfest. Nicht zu vergessen die Blaskapelle Übersee-Feldwies, die die Menge in der Moshpit vor der Bühne mit Ernst-Mosch-Pop zum Pogen bringt.

Die Münchner Größen sind längst eingemeindet: Moop Mama, Emil Bulls und Jamaram mit strahlenden Shows im Zelt; die fast schon beerdigten Blumentopf, die hier bei ihrem allerletzten "Konzert ohne Dach" zeigen, wie sehr ihre kessen Stegreif-Reime fehlen werden; und die Sportfreunde Stiller, die bei ihrem ersten Auftritt hier gleich einige Chiemsee-Rekorde brechen: die meisten Luftschlangen, die meisten Menschen auf Schultern.

Zieht man den Heimatkreis noch weiter, fügen sich die deutschsprachigen Künstler gut ein (nur Wanda blieben krankheitsbedingt fern): Etwa die Aufsteiger Annen May Kantereit, die jung sind wie die meisten Festivalbesucher, aber wie keine andere Gruppe eine Spannung zwischen Bar-Blues und The Doors-Rausch erzeugen. Und als Hauptattraktion Die Fantastischen Vier, die ihren "Tag am (bayerischen) Meer" ganz nah am zweiten Best-of Album "Vier und jetzt: 1990-2015" verbringen: Fanta Klassik! Dazu kommen Weltstars wie The Prodigy und Limp Bizkit - das sei eine Riesenchance für Übersee, findet Dettl, der 2013 dank des Festivals mit den Foofighters das schönste Konzert seines Lebens erlebt habe. Um solche Musikmomente gehe es. Ob er nun mit den jungen Trausteiner Rapper Mundwerk Crew sein rasendes Publikum teilt, oder ob La Brass Banda als Zugabe mit "Mia san die Manna ausm Bauwagn" ein Lied vom unfertigen neuen Album spielen. Dass sie das live "eigentlich noch gar nicht können", merkt keiner und macht auch nichts: Erst kleine Fehler machen Festivals einzigartig.

Rap auf der Rennbahn

Die silberne Gangsterkette schwingt im Takt, als Sido mit dem Oberkörper wippt: Die Bad Boy Moves sitzen. Aber ein wenig lustig ist es schon, wenn Sido "Junge von der Straße" singt und über seine "Sechs in Mathe" rappt. Schließlich ist sein Vollbart inzwischen angegraut. Und die Fans, die "ich will so gern erwachsen werden" mitsingen, sind längst volljährig. Aber Sido kokettiert mit dem Alter und dem einstigen Bad-Boy-Image: "Früher sind wir mit einem Truck voll Nutten rumgefahren, heute habe ich einen Physiotherapeuten dabei." Zum ersten Mal geht das Festival "Munich Summer Beats" auf der Galopprennbahn in Riem ab. Sido macht am Nachmittag den Auftakt, spielt alte und neue Hits, frotzelt auf Bairisch mit dem Münchner Publikum. "Is des ois?" fragt er und schafft es, dass sogar "Herr und Frau Polizei" kurzzeitig die Arme in die Luft werfen. Schade nur, dass das Konzertgelände bei seinem Auftritt noch halb leer ist. Der Bereich direkt vor der Bühne ist für die Inhaber der etwa 130 Euro teuren VIP-Tickets reserviert. Das kann oder will sich nicht jeder leisten. Auch das Hip-Hop-Duo Madcon stört sich an den wenigen Menschen direkt vor der Bühne. Der Rapper Yosef Wolde-Mariam springt daher kurzerhand über die Absperrung und führt zum Gute-Laune-Hit "Today's the Day" eine Polonaise durch die Menge. Das Publikum kreischt, die Sicherheitskräfte schwitzen. Die Radio-Ohrwürmer von "Freaky like Me" bis "One Life" kennt jeder, kaum einer weiß, dass sie von Madcon stammen. Umso mehr überrascht die phantastische Show der Norweger. Stimmgewaltig performt das Duo, die drei Background-Sängerinnen geben den Hits den nötigen Soul und hüpfen dazu wie Flummis über die Bühne. Der Sänger Tshawe Baqwa spritzt Wasser ins Publikum, schmeißt mit Konfetti um sich. Dass er vor lauter Slapstick-Faxen beinahe seinen Einsatz verpasst, trägt zur Stimmung bei. Zum Abschluss verwandelt der DJ Felix Jaehn die Galopprennbahn mit Laserstrahlern und LED-Lichtershow in einen Club. Eine Hand am Kopfhörer, die andere an den Reglern, remixt er Justin Timberlakes "Senorita", legt fette Beats unter Songs von System of a Down oder 50 Cent. Am Zenit boxt er die Fäuste in den Nachthimmel. Die Menge macht es ihm nach, schwenkt die neonbunten Knicklichter. Dank Late-Check-in Tickets ist das Konzertgelände nun gut gefüllt. Die Sicherheit gehe vor, erklärt der Veranstalter Gerhard Rieder. Deshalb habe er den VIP-Bereich so großzügig bemessen. Mit knapp 4000 verkauften Tickets bleibt das Festival unter der genehmigten Grenze von 5 000 Besuchern. Rieder zeigt sich trotzdem zufrieden. Er will das Festival etablieren, plant die zweite Ausgabe im nächsten Jahr. Wieder soll es drei Acts geben, darunter einen DJ: "Mein Traum wäre Robin Schulz", sagt Rieder.

© SZ vom 29.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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