Kuba:Der Applaus der Massen

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Forever young: Celia Sánchez und Fidel Castro 1965 auf der Isla de Pinos, die 1978 in Isla de la Juventud umbenannt wurde. (Foto: Lee Lockwood)

Im Jahr 1965 ist der amerikanische Fotojournalist Lee Lockwood nach Kuba gereist - jetzt wurde sein Langinterview mit Fidel Castro in einem opulenten Bildband neu herausgebracht.

Von Michaela Metz

Am Silvesterabend des Jahres 1958 reist der amerikanische Fotojournalist Lee Lockwood nach Kuba, um über das bevorstehende Ende des Batista-Regimes zu berichten. Er arbeitet für Publikationen wie Life, Newsweek, The Times, Bunte, Jours de France. Sein Timing ist perfekt, denn er kommt am Tag vor Fidel Castros Machtübernahme an. Castro befindet sich da schon auf seinem Triumphzug von der Sierra Maestra in die Hauptstadt Havanna. Die Straße verwandelt sich in eine 800 Kilometer lange Paraderoute, die von enthusiastischen Kubanern gesäumt wird. In jeder größeren Stadt hält der Revolutionsführer eine Rede, die oft erst nach Mitternacht beginnt und vier, fünf oder sechs Stunden dauert. Eine Woche lang fährt Lockwood über die Insel, um Castro für ein Interview zu treffen.

Castro schätzt den Amerikaner und lädt ihn immer wieder ein. 1959 und 1960 besucht Lockwood Kuba mehrmals, dann kommt die US-Invasion der Schweinebucht, und es vergehen drei Jahre, bis er auf die Insel zurückkehren kann. Im Mai 1965 reist er wieder nach Kuba und bleibt 14 Wochen. Nach etlichen Absagen gelingt ihm ein siebentägiges Marathoninterview mit Fidel Castro. "Um einen Begriff aus der Fotografie zu benutzen", erklärte Lockwood, "ich habe eine absichtliche Doppelbelichtung erreichen wollen, also ein Doppelporträt von Kuba und Castro mit Fidel im Vordergrund." Er gibt Fidel Castro die Niederschrift zu lesen und bekommt, versehen mit dessen Anmerkungen, insgesamt 420 Seiten sauber auf Spanisch abgetippt zurück. Zwei Jahre später, 1967, erscheint Lockwoods Buch "Castro's Cuba, Cuba's Fidel". Im Zentrum steht das Interview mit dem máximo líder. Nun hat der Taschen-Verlag Lockwoods Interviews und Reportagen als Prachtband neu aufgelegt. Zugunsten der Bilder mit leicht gekürztem Text, denn kurz vor seinem Tod 2010 hatte Lockwood sein Archiv geöffnet. 200 teils noch unveröffentlichte Fotografien, die den damaligen postrevolutionären Geist Kubas einfangen, zeigt diese neue Ausgabe.

Der Plauderton, den Lockwood im Interview mit Castor anschlug, schloss harte Nachfragen nicht aus, sondern ein: "Ich will damit sagen, dass die Fähigkeit, den donnernden Applaus riesiger Massen hervorzurufen, ein Zeichen dafür sein könnte, dass die Massen Sie unterstützen, aber nicht unbedingt dafür, dass Ihre Politik richtig ist", hält er dem Comandante vor.

Castro, der an der Universität von Havanna Jura studiert hat, philosophiert tagelang über Rassenprobleme in den USA, die Kubakrise, die Landwirtschaft, den Einsatz neuer Agrartechnologien, Volksfarmen, Schulen und Universitäten, über den Verfall Havannas, Prostitution, Homosexuelle und Kunstkritik. Eines bemerkt man sofort, hier macht sich ein hellwacher, umfassend gebildeter Geist Gedanken.

"Ich glaube, dass wir alle relativ jung abtreten sollten", sagte Castro

Bei den Themen Literaturzensur und Pressefreiheit nimmt Lockwood seinen charismatischen Interviewpartner in die Mangel: "Tatsächlich gibt es in der kubanischen Presse nur wenig Kritik." Castro stimmt ihm zu, kontert aber, in Kuba laufe niemand herum und verkünde eine hypothetische Pressefreiheit wie in den USA. Lockwood missfällt speziell die Situation regimekritischer kubanischer Autoren, denn Castro wirft ihnen vor, "im Dienste des Feindes oder der Konterrevolution" zu schreiben. "Wer soll das entscheiden, welche Kritik konstruktiv und welche konterrevolutionär ist?", fragt Lockwood. "Wir befinden uns mitten in einem Kampf . . .", antwortet der Revolutionär. "Sie haben meine Frage nicht beantwortet", hakt der Journalist nach, "ist es nicht vorstellbar, dass Intellektuelle Angst bekommen, dass jede kritische Idee von der Regierung als konterrevolutionär interpretiert werden könnte?" Natürlich seien das Themen, denen Kuba sich bald widmen müsse, sagt Castro einlenkend. Eines Tages werde es bessere Beziehungen zwischen den beiden Völkern geben müssen. "Mir scheint, wir sollten diese Zeitspanne so kurz wie möglich halten", sagt der Amerikaner. "Das halte ich für vernünftig. Gehen wir Mittag essen", ist die Antwort des Kubaners.

Mit seinen Berichten aus Kuba will der Amerikaner Lockwood schon im frostigen Klima des Kalten Krieges den Versuch einer ersten "kubanische Tauwetter-Kampagne" befördern. Doch die Fronten bleiben noch jahrzehntelang verhärtet. Erst mit dem Besuch von Papst Franziskus im September 2015 und dessen Gesprächen mit Raúl Castro und Barack Obama beginnen Kuba und die USA, sich zu öffnen.

"Ich glaube, dass wir alle relativ jung abtreten sollten", sagt Castro einmal. Tatsächlich blieb er insgesamt 49 Jahre - als Regierungschef, Staatspräsident und Vorsitzender der Kommunistischen Partei - an der Macht. Lockwood fragte ihn damals: "Können Sie sich als pensionierten 'Elder Statesman' vorstellen?" Castro, der im August seinen 90. Geburtstag feiert, antwortete lachend: Als pensionierten Statesman könne er sich schon sehen, nicht aber als "elder", "weil es schrecklich für mich wäre, auf keinen Berg mehr zu klettern, schwimmen, speerfischen und all die anderen Dinge tun zu können, die ich gerne tue."

Lee Lockwood: Castros Kuba. Ein Amerikaner in Kuba. Reportagen aus den Jahren 1959 - 1969. Taschen Verlag, Köln 2016. 368 Seiten, 49,99 Euro.

© SZ vom 20.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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