Konzert:West-östliche Klangspiele

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Long Yu dirigiert die Münchner Philharmoniker

Von MICHAEL STALLKNECHT, München

Als die Kulturrevolution in China wütete, sollten aus der Musik alle westlichen Einflüsse verschwinden. Instrumente wurden zerstört, Noten verbrannt. Als Sohn einer Künstlerfamilie verbrachte Qigang Chen drei Jahre in einer Umerziehungsanstalt, bevor er das Kompositionsstudium vollenden durfte. 1984 ging er nach Paris, wo er der letzte Privatschüler Olivier Messiaens wurde. Exemplarisch verschmelzen westliche und fernöstliche Traditionen auch in seinem Trompetenkonzert "Joie éternelle", das die Münchner Philharmoniker mit der Trompeterin Alison Balsom im Gasteig vorstellten.

Qigang Chen arbeitet zwar mit dem großen symphonischen Orchesterapparat, verwandelt ihn aber über weite Flächen in ein Zauberreich zarter Pastelltöne, zu denen das Schlagzeug sanfte Klangspiele beisteuert. Der Trompete, die Chen, wie er im Programmheft sagt, als sehr westlich empfindet, legt er zunächst einmal eine wiegende Kantilene aus der Kunqu-Oper, einer Unterform der Peking-Oper, ins Mundstück. Es ist ein mystischer Beginn, aus dem die mit vollendeter Leichtigkeit spielende Alison Balsom schließlich doch noch in tänzerischen Swing und eine Reihe hochvirtuoser Figurationen übergehen darf, bevor das Werk mit einem Hollywood-reifen Durchbruch endet.

Westliche Klassik erfährt in China, auch als Gegenreaktion zur Kulturrevolution von einst, bekanntlich seit Jahren einen ungeheuren Boom. Eine Schlüsselfigur dafür ist Long Yu, der bei der sonntagmorgendlichen Matinee der Philharmoniker am Pult steht. Yu, ein Enkel des chinesischen Komponisten Ding Shande, hat in den frühen Neunzigerjahren in Berlin studiert. In China baute er danach nicht nur das Philharmonische Orchester neu auf und rief das renommierte Musikfestival von Beijing ins Leben, sondern sucht auch immer wieder den Austausch mit westlichen Künstlern und Orchestern. Dass er inzwischen die drei bedeutendsten Orchester seines Landes in Personalunion leitet, trägt ihm im Westen manchmal den Spitznamen "Gergiev von China" ein.

Wenn er nun als zweiten Teil des Konzerts Gustav Mahlers "Lied von der Erde" dirigiert, bekräftigt das den Kulturaustausch sozusagen auch von der anderen Seite. Schließlich vertont Mahler hier nicht nur freie Nachdichtungen von klassischer chinesischer Lyrik aus dem achten Jahrhundert, er setzt als Leitmotiv auch eine pentatonische Melodie ein. Yu gibt den lyrischen Momenten besonderes Gewicht, gewährt den eindrucksvollen Bläsersoli viel Raum. Den langen Atem des langsamen letzten Satzes entwickelt er sehr organisch. Doch es fehlt der Aufführung an Schatten und Dunkelheit, am Selbstverlust in Rausch, Sehnsucht und pantheistischer Mystik. Das ist auch den Gesangssolisten anzulasten, die, wie alle Sänger in der Philharmonie, mit der Akustik kämpfen. Dem Tenor Klaus Florian Vogt nimmt man angesichts seiner hellen Stimmfarbe und seiner chorknabenhaften Diktion jedenfalls kaum ab, dass er jemals trinkt, bis er "nicht mehr kann", wie es im Text heißt. Und der Bariton Michael Nagy, der die zweite, häufiger von einem Mezzosopran gesungene Partie übernimmt, findet in der sonntäglichen Frühe erst beim letzten Lied zu einer ausgewogenen Stimmführung. Ein klug gedachtes Programm bleibt es dennoch.

© SZ vom 21.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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