Konzert:Tiefsinnig

Ton Koopman mit Bachs Weihnachtsoratorium

Von Klaus P. Richter, München

In der weihnachtlichen Oratorienkonkurrenz zählt die Differenz. Sonst verfällt das alljährliche Ereignis leicht zur schnöden Routine. Ton Koopman, Grandseigneur des Metiers, überraschte bei Bachs Weinachtsoratorium schon mit der Differenz zu seinem Ensemble. Er kam nicht mit seinem berühmten Amsterdamer Baroque Orchestra samt Chor in die Philharmonie, sondern verließ sich auf die heimischen Ressourcen: die Münchner Philharmoniker und den Philharmonischen Chor. Beide zwar in reduzierter Masse, aber immer noch weit über den Besetzungsstärken der "historisch informierten" Aufführungspraxis.

Nach dem etwas wackligen Beginn mit dem "Jauchzet, Frohlocket"-Jubilus entfaltete der 55 Sänger starke Chor (trainiert von Andreas Herrmann) eine vitale Strahlkraft im klaren protestantischen Kantoreien-Sound. In den beiden Alt-Arien "Bereite dich Zion" und "Schlafe mein Liebster" wurde die nächste Differenz als stilistische Indifferenz deutlich. Die großartige Altistin Wiebke Lehmkuhl verschwand oft hinter dem Klangteppich von Continuo und Obligatinstrumenten, obwohl "piano" und "pianissimo" für sie notiert ist. Vielleicht war es die Tücke der Gasteig-Akustik, womöglich aber die Stilambivalenz zwischen "historischer" Ambition und moderner Ensemblediktion, die dann in der Tenorarie "Ich will nur dir zu Ehren leben" (mit feinem lyrischen Espressivo: Tilman Lichdi) exemplarisch deutlich wurde und diesem Glanzstück konzertierender violinistischer Brillanz viel von seinem Glanz nahm. Als versöhnte Ambivalenzen überzeugten das Duett von Sopran (mit strahlenden Höhen: Christina Landshamer) und Bass (voll kultivierter Wucht: Michael Volle) samt Ton Koopmann an der Truhenorgel und virtuosem Fagott im Continuo in der Arie "Herr dein Mitleid", immer die intonationssicheren Trompeten, aber auch die versonnene Sinfonia der zweiten Kantate und die Gestaltung der Choräle als tiefsinnige Ausdruckslandschaften.

© SZ vom 09.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: