Konzert:Schwebende Legende

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Der ewige Jungspund: Sir Paul McCartney mit seiner exzellenten Band beim Konzert im Münchner Olympiastadion. (Foto: Sven Hoppe/dpa)

Alles, was Pop ist: Sir Paul McCartney, erklomm als 21-jähriger "Beatle" 1963 zum ersten Mal die UK-Single-Charts. Im Münchner Olympiastadion zeigt er, dass er auch über fünf Jahrzehnte später noch einiges drauf hat

Von Oliver Hochkeppel

Es war wieder das bei Stadionkonzerten übliche Verkehrschaos ausgebrochen, sodass Tausende Besucher den überpünktlichen Beginn mit "A Hard Day's Night" nur von draußen mitbekamen. Die Figur, die dann auf den Großbildschirmen erschien, sah allerdings nicht nach "harten Tagen voller Sklavenarbeit" aus. Was ist denn das für ein schlanker junger Typ in Jeans und weißem Hemd, mochte man sich denken, und manche, die ihn schon vor vielen Jahrzehnten ein paar Kilometer entfernt im Circus Krone gesehen hatten, dachten sich wahrscheinlich wieder das "süß" neben dem schlank und jung dazu. Man hätte schon das Gesicht unter dem vollen, von jedem Grau verschonten (oder befreiten?) Haupthaar in Großaufnahme sehen müssen, um zu erkennen, dass da ein mittlerweile 74 Jahre alter Popstar steht: Sir Paul McCartney, die Beatles-Legende und einer der letzten überhaupt aus der Gründergeneration der modernen Pop-Musik. Irgendwie hat er der Zeit ein Schnippchen geschlagen: Kommt federnd auf die Riesenbühne des Olympiastadions, spielt zwei Stunden und vierzig Minuten ohne Pause und entschwebt danach so lässig und locker, als wäre nichts gewesen.

Gut, in einem Punkt hat das Alter doch Spuren hinterlassen: In den Mittellagen ist sie etwas brüchig geworden, diese vielleicht meistgehörte Stimme der Welt. Geschenkt, manchen Songs wie dem solo gespielten "Blackbird" tat das als nostalgische Komponente sogar gut. Ohnehin wurde McCartney sanft aufgefangen: Seine vier Begleiter sind fantastische Background-Sänger. Und weit mehr als das. Abe Laboriel jr. am Schlagzeug beherrscht die trockenen Fills eines Ringo Starr perfekt, hat aber an High Hat und den Toms noch weit mehr zu bieten.

Es ist auch keine Majestätsbeleidigung, wenn man feststellt, dass die Beatles keine besseren Gitarristen besaßen als Brian Ray und Rusty Anderson. Wix Wickens schließlich ist der Magier, der die Songs an den Keyboards mit diversen Sounds perfekt ins jeweils benötigte Beatles- oder Wings-Gewand einkleidet. McCartney spielt mit dieser Truppe bald doppelt so lange zusammen, wie die Beatles überhaupt bestanden haben, und das hört man auch. Was Paul McCartney mit ihnen, mit britischem Understatement, Humor und deutschen Ansagen auf die Großbühne wuchtete, war nichts weniger als die Quersumme einer einzigartigen Musikerpersönlichkeit.

Insgesamt 38 Songs bildeten dies ab, alleine 23 davon Beatles-Songs, darunter auch vergleichsweise unbekannte wie "Being for the Benefit of Mr. Kite" bis hin zu den Gassenhauern wie "Lady Madonna"; vom frühen Beat bis zum späten psychedelischen Rock. Auch der ganze spätere McCartney kam dazu, von Wings-Klassikern wie "Nineteen Hundred and Eighty Five" über Songs vom letzten Album bis zum jüngsten Hit "Four Five Seconds", den er im vergangenen Jahr mit Rihanna und Kanye West einspielte. Dazu kamen ein halbes Dutzend Tribute-Songs, Grüße an Weggefährten von John Lennon und George Harrison bis zu George Martin und seiner verstorbenen Frau Linda. Spätestens die eingespielten Videos aus früheren Tagen bescherten auch dem Abgebrühtesten einen Kloß im Hals.

McCartneys Auswahl der Stücke schlug in ihrer Mischung aus karg akustischen und opulent orchestralen, Beat-, Pop- und Rock-Momenten einen genialen Stimmungsbogen, der auch noch Wiederentdeckungen ermöglichte: Dass das mit Lasershow und Feuerwerk große Finale einleitende "Live and Let Die" tatsächlich einer der besten Bond-Songs war beispielsweise. All das kam dem perfekten Pop-Konzert sehr nahe und wird vielen wohl so unvergesslich bleiben, wie einst der Auftritt der Beatles im Circus Krone. Nicht nur den zwei glücklichen Damen aus Russland und England, die auserwählt waren, von Sir Paul auf der Bühne umarmt zu werden und ihr Plakat signiert zu bekommen.

© SZ vom 13.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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