Konzert:Grenzen wegmusizieren

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Anfang dieses Jahres haben Brad Mehldau und Chris Thile (v. l.) ihr Album veröffentlicht. (Foto: Michael Wilson)

Der Mandolinenvirtuose und Sänger Chris Thile liebt Musik von Bach bis "Radiohead". Mit dem Pianisten Brad Mehldau spielt er am Dienstag im Prinzregententheater

Von Claus Lochbihler

Als Wunderkind der Bluegrass-Mandoline mochte Chris Thile keine Klassik: In seinen Ohren klang klassische Musik wie die Aufforderung eines Erwachsenen, man müsse ernsthaft mal miteinander reden. Und auch Popmusik fiel beim jugendlich-puristischen Chris Thile (geboren 1981) durch: Pop war für ihn der Sound der Geldmache, ein Vehikel, bei dem Musik nur die zweite Geige spielt. Und häufig nicht mal die. Von der Mandoline ganz zu schweigen. . .

Heute ist das alles anders: Mit Hilary Hahn und Yo-Yo Ma interpretiert Chris Thile Konzerte und Sonaten von Johann Sebastian Bach, bei denen der Mandolinenvirtuose sein Instrument wie ein vom Korpus befreites Cembalo klingen lässt. Mit den Punch Brothers übersetzt er Songs von Radiohead und Kompositionen von Debussy in einen akustischen Sound, der mit Bluegrass häufig nur die Besetzung gemeinsam hat. Und für "A Prairie Home Companion", die Musik- und Radio-Comedy-Sendung, die er 2016 von Garrison Keillor übernahm, begrüßt er jeden, dessen Musik ihn begeistert. Von Singer-Songwritern über Bluegrass und Country bis hin zu Klassik, Jazz und Pop: Paul Simon und Hilary Hahn, Randy Newman und Jack White, The Shins und Brad Mehldau - sie alle und viele mehr waren schon in der Sendung, um mit Thile zu musizieren. Sein Traum: Eines Tages auch Radiohead und den Hip-Hop-Star Kendrick Lamar in der Sendung begrüßen zu dürfen.

Der 36-jährige Chris Thile, der schon mit acht Jahren Profi-Musiker war und mit seinen Eltern im Wohnmobil von Bluegrass-Festival zu Bluegrass-Festival fuhr, ist heute einer der vielseitigsten und spannendsten Musiker. Kein Genre-Hopper, als der er häufig bezeichnet wird. Sondern einer, der die Vorstellung, es gäbe musikalische Stilgrenzen und diese seien sinnvoll, unterminiert und wegmusiziert. Er sei besessen von der Idee, dass Musik weder genre- noch generationenabhängig sei, hat Thile unlängst gesagt. Die bewusste Selbstbeschränkung auf bestimmte Genres - als Musiker wie als Hörer - hält er für absurd. Wenn jemand sage, dass er nur dieses oder jene Genre möge, sei dies, wie wenn ein Leser behaupte, er würde nur Bücher mit einem bestimmten Buchumschlag lesen. Genres sind für Thile bestenfalls eine Frage der Orchestrierung. Ansonsten aber nicht bedeutungsvoller als Buchumschläge.

Die Ohren geöffnet für diese ebenso einfache wie radikale Idee, hat Thile der Musiker, den er für den größten Musiker aller Zeiten hält: Johann Sebastian Bach. Als er Anfang der 90er-Jahre dessen Goldberg-Variationen in der zweiten Aufnahme durch Glenn Gould von 1981 hörte, sei dies seine erste befriedigende Begegnung mit klassischer Musik gewesen. Bald darauf verschlang Thile alles von Bach, fing selber an, Violinwerke von Bach auf der Mandoline zu spielen, hörte Beethoven, Mozart und Brahms. Ein Ohrenöffner für alles: "Nachdem ich angefangen hatte, Bach zu hören, war auf einmal alles auf der musikalischen Tagesordnung". Auch Hip-Hop, Indie- und Hard-Rock.

Zum ersten Mal in München wird Chris Thile zu hören sein an der Seite eines Musikers, der hier regelmäßig für Begeisterungsstürme sorgt. Dem Jazz-Pianisten Brad Mehldau, den Thile vor allem als begnadeten Zuhörer schätzt: "Nichts entgeht seiner musikalischen Wahrnehmung. Er kann live alles sofort aufnehmen und verarbeiten, kommentieren und fortführen." Mit im Tourgepäck: ein Anfang dieses Jahres veröffentlichtes Duo-Album, auf dem sie über Songs von Dylan bis Elliott Smith, irischem Liedgut, einem Jazzstandard und Eigenkomponiertem eine Americana-Begegnung der besonderen Art feiern. Jazz vermischt sich mit Bluegrass und Country, Singer-Songwritertum, Indie-Rock und Folk mit Improvisation, mal instrumental, mal mit Gesang, mal zart und leise, mal rauschhaft aufschäumend.

Hoffentlich auch vertreten: Thiles neues, sehr poppiges Album "Thanks For Listening", das Anfang Dezember erscheint (Warner/Nonesuch). Ein Loblied auf das Hören und Zuhören, mit Songs, manche davon sehr politisch, die Thile ursprünglich für seine Radioshow geschrieben hat. Und mit etwas Glück, wenn die beiden auch "Scarlet Town" anstimmen, wird Mehldau, dieser Sänger auf dem Klavier, auch als richtiger Sänger zu hören sein. Mit einer Harmoniestimme, dunkel und tief, mit der er im Studio auch Chris Thile überraschte.

Brad Mehldau & Chris Thile, Dienstag, 14. November, 20 Uhr, Prinzregententheater

© SZ vom 13.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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