Konzert:Geradezu muskulös

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Jörg Widmann und das Münchener Kammerorchester

Von Andreas Pernpeintner, München

Welch starke Intensität des Musikerlebens hier angestrebt wird, zeigt sich sofort, nachdem Jörg Widmann das Prinzregententheater betreten hat, um das Münchener Kammerorchester zu dirigieren. Angelegt ist dieser Abend als Dialog zwischen Widmanns eigenen Kompositionen und der Musik Mendelssohns, begonnen mit dessen Hebriden-Ouvertüre. Widmann hebt die Hände und formt Mendelssohns Konzertouvertüre zu einem furiosen Spektakel. Das heißt nicht, sie gerate außer Rand und Band - sondern, dass Widmann enorme Ausdrucksintensität herausarbeitet und Manierismen keine Chance lässt. Das ist beherzt, im Forte markig, mit bemerkenswertem Vortrieb, im Anzeigen der Dynamik auf kleinem Raum sehr dezidiert.

Was folgt, ist Widmanns "Versuch über eine Fuge" in der 2015 entstandenen Fassung für Sopran, Oboe und Kammerorchester. Eines der auffallendsten Neuelemente dieser Fassung ist die solistische Oboe, die der bedeutungsschweren Sopranstimme gegenübergestellt wird. Die Oboe ertönt am Ende aus dem Hintergrund des Saales, und die Sopranistin Claron McFadden singt hinreißend klar. Allein diese Interaktion ist schon spannend. Doch da das ganze Werk in all seinen Schichten als ungemein komplexes kontrapunktisches Gewebe angelegt ist, ist das musikalische Beziehungsgeflecht insgesamt schier überwältigend.

Umso überraschender, dass der Klangeindruck trotzdem kein nüchtern struktureller ist, sondern ein intuitiv packender. Er ist ausgestattet mit einem Farbenreichtum, der von geheimnisvoll nebeligen Themeneinsätzen und den leisen, markanten Geräuschen, die entstehen, wenn Streicherbögen durch die Luft peitschen, bis hin zu harschen Impulsen oder geradezu lyrischer Melodik reicht. Das ergibt eine so tiefgründige, wie klanglich robuste Musik. Und das MKO ist gemeinsam mit McFadden und Widmann genau das richtige Ensemble, um das so wunderbar zu interpretieren. Wenn das robust ist, ist Widmanns Konzertouvertüre "Con brio" nach der Pause mit ihrer von Beethoven inspirierten, pointierten Rhythmik, den aufblitzenden klassischen Schlaglichtern und der fast lückenlos angefüllten Paukenstimme geradezu muskulös. Dennoch ist das Hauptwerk der zweiten Hälfte Mendelssohns Reformations-Symphonie, die mit ebenso hoher Ausdrucksdichte gespielt wird wie den Beginn des Abends.

© SZ vom 10.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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