Wenn das Sein das Bewusstsein bestimmt, dann ist Jocelyn B. Smith schon lange keine New Yorkerin mehr - in Stadtteil Queens ist sie 1960 geboren und aufgewachsen -, sondern Berlinerin. Schließlich hat sie inzwischen mehr Lebenszeit hier verbracht als in ihrem Heimatland. 1984 war die Sängerin mit einer "Tribute to The Platters"-Tour durch Deutschland unterwegs, als sie beschloss, hierzubleiben. Mit dem damals noch geteilten Berlin als Basis und dem Jazzclub Quasimodo als zweitem Wohnzimmer.
Es war eine Grundsatzentscheidung: "Im Musikbusiness musst du das Spiel verstehen und wissen, wie viel du mitspielen kannst, ohne zu verlieren", sagt Smith. Und nach den amerikanischen Regeln wollte sie nicht mehr spielen, ließen die ihr doch nicht genug Freiheit, das zu verwirklichen, was sie früh zur Musik gezogen hatte: "Musik ist wie ein Werkzeug, dich selbst kennenzulernen und zu verbessern." Leicht war die Entscheidung trotzdem nicht, denn Smith hatte bereits etwas zu verlieren. Als Kind mit klassischem Klavier aufgewachsen, hatte sich früh auch das Gesangstalent ihrer vier Oktaven umfassenden Stimme offenbart.
Noch als Teenager steigt sie in diversen Bands ein. Mit 21 holt sie der Miles-Davis-Schlagzeuger Lenny White in seine Funk- und Soul-Truppe Twennynine, ein Jahr später wechselt sie zur erfolgreichen Disco-Band Change. Da steht sie dann auch mal als Support des Electric Light Orchestra vor 80 000 Menschen auf der Bühne. Doch der Drang nach eigener Musik, einem stilistisch offeneren Mix aus Gospel, Soul, Jazz, Pop und klassischem Gesang, ist stärker. Dem kommt sie in Deutschland näher. Schon ihr zweites Album "Born Of Music" schlägt 1993 richtig ein, Sony nimmt sie daraufhin unter Vertrag. Ihren bis heute größten, mit einer Goldenen Schallplatte dekorierten Hit hat sie 1995, als sie für die deutsche Fassung des "Königs der Löwen" den Titelsong "Circle of Life" einsingt. Ein Schlüsselerlebnis wird die Gesangs-Hauptrolle in Heiner Goebbels international erfolgreichen Großproduktion "Surrogate Cities": "Heiner Goebbels war der erste, der ein sinfonisches Orchester strukturell mit digitaler Information, mit Loops verband. Das hat mich endgültig überzeugt, die Dinge in Zukunft verschmelzen zu wollen", erinnert sich Smith.
Seitdem ist sie gewissermaßen die Frau für die besonderen Projekte und Anlässe: V on ihrer Hommage an Brecht/Weill "Blue Lights And Nylon" über ihrer Sopranistenrolle in Mikis Theodorakis' Oper "Die Metamorphosen des Dionysos" bis zur Berliner Trauerveranstaltung für den 11. September 2001 oder ihrem Auftritt beim Deutschland-Besuch von Barack Obama 2013. Dazwischen arbeitete sie mit Falco ebenso wie mit Harald Juhnke oder Till Brönner. Und engagiert sich in Chor- und Musikprojekten für Kinder und Landminenopfer. Zuletzt hat Smith im Musical "I Am Johnny" für Aufsehen gesorgt, das die Geschichte des 2012 von Rechtsradikalen erschlagenen Johnny K. erzählt.
Mag ihre aktuelle Tour dagegen wie Tagesgeschäft wirken, so ist auch sie etwas Besonderes, feiert Smith da doch ihre 30 Jahre in Deutschland. Das Programm zum neuen Album "My Way" hält also Rückschau. Mit gewohnter Power und Bühnenpräsenz wird sie Hits und Überraschungen singen, vom "König der Löwen" über hip verjüngte Jazz-Standards oder Ray-Charles-Klassiker bis zum auf 150 Beats pro Minute beschleunigten Udo-Jürgens-Chanson "Gab es nur noch dieses Lied für mich" oder einer afrikanischen Neufassung ihres Songs "The Power Is In Me", den sie als "Matla Ahuna" von Basutho-Stammesangehörigen aus Lesotho übersetzen ließ.
Jocelyn B. Smith , Montag, 11. Mai, 19.30 Uhr, Allerheiligen-Hofkirche, Residenzstraße 1