Konzert:Der frische Romantiker

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Ein Grandseigneur am Pult: Sir John Eliot Gardiner. (Foto: Sim Canetty-Clarke)

Sir Eliot Gardiner kommt mit dem London Symphony Orchestra nach München - im Programm: Schumann und Beethoven

Von Egbert Tholl, München

Auf der Homepage des LSO, des London Symphony Orchestras, gibt es einen interessanten Unterpunkt, den man anklicken kann. Er heißt "Hire the Orchestra". Nun geht Sir Eliot Gardiner mit Londons ältestem Orchester, einem der großen in der Welt, auf Tournee. Am 1. März spielen sie Schumann, die vierte Symphonie und "Ouvertüre, Scherzo und Finale" op. 52, auch Beethoven erstes Klavierkonzert mit Piotr Anderszewski. Der Kern ist Schumann; im kommenden Jahr will Gardiner, der im April 75 wird, eine Gesamtaufnahme des symphonischen Werks präsentieren. Das aktuelle Programm wird er dafür am Ende der Tournee in der Londoner Barbican Hall aufnehmen, als Konzertmitschnitt. Für Gardiner wäre dies auch in München möglich. Nämlich im Herkulessaal, wo er im Dezember das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks dirigiert hatte. Aber das Konzert nun ist in der Philharmonie. Gardiner dazu: "Gasteig is a desaster. Everybody knows it." Also kein Mitschnitt in München.

Das LSO ist eine Macht auf dem Plattenmarkt. Sir Simon Rattle, seit vergangenem Herbst dort der Chef, brachte vor Kurzem Debussys "Pelléas et Mélisande" heraus, aufgenommen 2016 im Barbican, mit Christian Gerhaher als Pelléas und Magdalena Kožená als Mélisande. Gardiner wiederum nahm mit dem Orchester alle Mendelssohn-Symphonien und auch dessen "Sommernachtstraum"-Musik auf. Nun also vertieft er seine Auseinandersetzung mit deutscher Romantik an Schumann.

Nicht zum ersten Mal. Bereits 2001 erhielt Gardiner den "Robert-Schumann-Preis" für seine aufsehenerregenden Schumann-Interpretationen. Verliebt hatte er sich schon früher in Schumanns Oratorium "Das Paradies und die Peri", dessen Partitur er einmal in Leipzig in einem Musikalienladen entdeckte, da stand die Mauer noch. Später nahm er das Werk auf und weckte damit auch das Interesse von Kollegen wie Rattle oder Daniel Harding für das Stück. Fragt man ihn, ob sich in den vergangenen Jahren seine Sicht auf Schumann geändert habe, so verneint er dies. Aber: Die Orchester hätten sich geändert. Sie hätten gelernt, dass Romantik nicht unweigerlich etwas mit "Wagnerstyle" zu tun haben müsse, also auch schlank und ohne Mythos funktionieren könne.

Für Gardiner, einem Spezialisten für Alte Musik, aber halt längst nicht nur, wurde es schnell selbstverständlich, die Erkenntnisse des historisch informierten Musizierens auch auf jüngere Werke wie eben die der Romantik anzuwenden. Teils gründete er dafür gleich eigene Orchester wie das Orchestre Révolutionnaire et Romantique, teils überzeugte er bestehende Klangkörper von seiner Auffassung. Es ist eine Annäherung von zwei verschiedenen Perspektiven; das LSO etwa gehe schrittweise vom 20. und 19. Jahrhundert zurück zur älteren Musik. Und noch heute schwärmt Gardiner am Telefon von dem Konzert mit dem BR-Symphonieorchester. Er ist noch müde an diesem Morgen, deswegen spricht er Englisch. Aber im Schwärmen fallen deutsche Worte wie "Klangrede" und Aussprache". Damit sind zwei wesentliche Punkte genannt, die zu den Erkenntnissen aus der Beschäftigung mit Alter Musik gehören.

Im Dezember entstand daraus die reine Lust am Musizieren. Gardiner verwandelte das BRSO in ein Kammerorchester, es wurde im Stehen gespielt, mit sehr wenig Vibrato, aber mit der Durchgestaltung eines jeden Tons. Im Stehen zu spielen ist für Gardiner kein "Gimmick" - bereits Mendelssohn ließ als Dirigent Teile des Gewandhausorchesters stehen. Kommt Gardiner auf das künstlerische und menschliche Verhältnis zwischen Schumann und Mendelssohn zu sprechen, bedauert man, dass er nicht genug Kaffee intus hat. Denn ihm nun in der fremden Sprache zu folgen, ist anspruchsvoll, weil seine Gedanken anspruchsvoll sind. Man spürt, dass seine Beschäftigung mit ihren Werken keine Laune ist, sondern lang währt und tief geht, mit vielen Aspekten. Da der unglaublich begabte Mendelssohn, dort der "exzentrische, poetische, abstraktere" Schumann, da - nebenher - einer der größten Dirigenten seiner Zeit, dort einer, der eine Symphonie wie einen Roman dachte. Man freut sich, das dann zu hören.

Sir Eliot Gardiner und London Symphony Orchestra , Do., 1. März, 20 Uhr, Philharmonie

© SZ vom 28.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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