Kolumne: Deutscher Alltag:Ein Abend mit dem Schraubenmann

Lesezeit: 2 min

Politiker sind nicht käuflich, nur zu mieten: für ein Gespräch oder für eine klitzekleine Steuersenkung. Danach sind sie wieder völlig unabhängig.

Kurt Kister

Es gibt Tage im Leben, da fragt man sich, ob man selbst nicht allmählich gaga wird oder ob vielleicht doch eher die anderen gaga sind und man das wegen wachsender Lebensweisheit einfach nur besser erkennen kann. Je älter man wird, desto mehr häufen sich diese Tage.

Das hat einerseits damit zu tun, dass man mit zunehmendem Alter auch gelassener wird, dies aber eigentlich nur gegenüber den eigenen Fehlern. Die Fehler anderer wiederum sieht man schärfer, was dazu führt, dass einen die Jungen für einen alten, nörgelnden Sack halten, wohingegen man selbst Jüngere, also Leute bis etwa 50, als warmduschende Grünschnäbel identifiziert.

Da gibt es zum Beispiel die sogenannte Sponsoring-Affäre. Die CDU-Ministerpräsidenten Rüttgers und Tillich haben sich in ihrer Eigenschaft als Parteipolitiker ein klein wenig an Firmen vermieten lassen. Anders als dies Sigmar Gabriel - wer mag den schon mieten? - und andere Neidhammel behaupten, sind die genannten Herren nicht käuflich, denn dann würden sie ja den Firmen gehören. Sie sind nur kurzfristig für eine Dienstleistung zu erhalten, für ein Foto oder ein Gespräch oder, im Falle der FDP, für eine klitzekleine Steuersenkung. Danach sind sie wieder völlig unabhängig.

Aber war das je anders? Als alter Sack war man auf vielen Parteitagen von allen möglichen Parteien. Man hat bei CDU und SPD, bei CSU und FDP, BMW und Mercedes-Automobile herumstehen sehen, hat kostenlose Zigaretten von Philipp Morris geraucht und sich durch lange Reihen diverser Firmenstände gequetscht, die natürlich auch von jeder Menge hoch- und andersrangiger Politiker besucht worden sind.

Diese Art der Parteienfinanzierung, das Aufstellen von Firmenständen gegen Geld, ist lange vor Rüttgers von vielen praktiziert worden, nur dass vielleicht die zuständigen Generalsekretäre nicht überall so naiv waren, Preislisten für den jeweils erhältlichen Grad der Nähe auszuhängen.

Wichtigtuer in Berlin

Außerdem leben in Berlin Tausende Berater und Lobbyisten davon, ihrer Klientel Nähe zu besorgen. Der Staatssekretär a.D. arrangiert gegen gutes Geld Abendessen mit seinen noch aktiven Kollegen, der emeritierte Chefredakteur organisiert eine Presserunde für den Vorstandschef aus der Provinz. Das war schon immer so, auch in Bonn, aber in Berlin ist die Zahl der Wichtigtuer noch erheblich gestiegen.

Die typische Berliner Dienstleistung besteht darin, dass ein ehemaliger Abgeordneter zwei Journalisten sowie einen berufsmäßigen Talkshow-Gast anruft und man sich dann mit dem Erben der Schraubenfabrik und seinem Geschäftsführer im Borchardt trifft. Wenn der Schraubenmann dort Iris Berben und Klaus Wowereit sieht, weiß er, dass er in der Politik angekommen ist, ganz ohne den Rüttgers gemietet zu haben.

© SZ vom 06.03.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: