Kino:Zurück zur Ritterlichkeit

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Ralf Huettner hat die "Burg Schreckenstein"-Bücher verfilmt. Internatsgeschichten reizen ihn aus mehreren Gründen

Von Barbara Hordych, München

Für die einen ist es der Traum, irgendwo neu anzufangen, wo sie niemand kennt. Für die anderen ist es der Albtraum, von den Eltern in einen "Streberknast" abgeschoben zu werden. Doch einerlei, welcher Kategorie die Helden und Heldinnen angehören - die Faszination von Internatsgeschichten ist seit Jahrzehnten ungebrochen. Schon Wilhelm Speyer erzählte Ende der Zwanzigerjahre vom "Kampf der Tertia" in einem ländlichen Schulinternat; die Engländerin Enid Blyton schuf mit ihren "Dolly"- und "Hanni und Nanni"-Abenteuern zwei Mädchenbuchreihen, die in den Sechzigerjahren auch in den deutschen Kinderzimmern höchst beliebt waren. Und Joanne K. Rowling fügte den klassischen Internatszutaten noch eine gehörige Prise Magie hinzu - die Geschichten aus Harry Potters Zauberschule Hogwarts haben sowohl als Buch wie auch als Film international reüssiert.

Doch was ist eigentlich das Faszinosum am Mikrokosmos Internat? "Dass keine Eltern da sind! Dass die Kinder selbst bestimmen können, ohne den Druck der Eltern", sagt Ralf Huettner. Der Filmregisseur, der Anfang der Achtziger an der HFF München studierte, ist in Internats-Fragen in mehrerer Hinsicht kompetent: Zum einen, weil er zwischen seinem elften und 18. Lebensjahr selbst ein Internat in Regensburg besuchte. Zum anderen, weil am kommenden Donnerstag sein neuer Film "Burg Schreckenstein" im Kino anläuft - ein Extrakt aus den ersten sechs Bänden der gleichnamigen Buchreihe von Oliver Hassencamp. 27 Bände sind von 1959 bis 1988 erschienen, dem Jahr, in dem Hassencamp tödlich verunglückte. Ein Internat, das ohne Regelwerk auskommt, ist das realistisch? "Natürlich herrscht auch dort Druck", räumt Huettner, 61, ein. "Aber er verteilt sich auf viele Schultern. Und es ist sehr spannend, die Regeln gemeinsam zu brechen. Wenn man beispielsweise zu Hause nachts den Kühlschrank leer räumt, obwohl man das eigentlich nicht tun soll, na ja. Aber stellen Sie sich vor, Sie schleichen nachts mit einer ganzen Gruppe heimlich in den Speisesaal, um ihn zu plündern - das ist dann ein richtiges Abenteuer!"

Überhaupt sei es der Gemeinschaftsaspekt, der im Mittelpunkt von Internatsgeschichten stehe. "Wenn nichts Schlimmes passiert, wenn man nicht an den Strukturen zerbricht, dann ist es natürlich das Soziale, was man lernt. Sich durchzusetzen, miteinander zurechtzukommen", sagt der Regisseur. Noch gut erinnert er sich an die Erfahrungen, die er seinerzeit machte. Heimweh zu haben und gleichzeitig vor der Aufgabe zu stehen, mit dreißig, vierzig Jungs zurechtkommen zu müssen. Eine Situation, in der sich auch der elfjährige Stephan befindet, der von seinen geschiedenen Eltern zwecks Verbesserung seiner Noten nach Burg Schreckenstein geschickt wird. Wo die tonangebende Clique der "Schreckies" nicht gerade erfreut über den "Neuen" ist. "Meine Erfahrungen von damals waren für mich der Zugang zu der Geschichte und der Schlüssel zu Stephans Gefühlen", erzählt Huettner über sein Kinderfilm-Projekt. Ein Projekt, mit dem sich der Regisseur abermals als sehr vielseitig erweist: In den vergangenen Jahrzehnten inszenierte er Filmkomödien, TV-Serien, Thriller und das Roadmovie "Vincent will Meer", für das er 2011 mit dem Deutschen Filmpreis ausgezeichnet wurde.

Nun also sein erster Kinderfilm. Darin integriert sich sein Protagonist nicht nur schnell in die Jungsclique, sondern auch in die Fehde mit den Mädchen vom benachbarten Internat "Rosenfels". "Die Streiche-Fehde beruht natürlich auf dem Urkonflikt Mädchen gegen Jungs", sagt Huettner. Der finde sich nicht von ungefähr in Hassencamps Büchern genauso wie in Detlev Bucks neuem "Bibi & Tina"-Film, der den Geschlechter-Kampf sogar im Titel führe. "Die Konkurrenz, die sie da ausfechten, ist eine Möglichkeit, wie sie zueinander in Kontakt kommen können", sagt Huettner.

Und was hat ihn selber an Hassencamps Geschichten interessiert? "Eine Art alter Zauber, der über den Geschichten liegt", sagt Huettner. Denn die Jungs von Schreckenstein hätten sich, passend zu den alten Burgbewohnern, einer altmodischen Vorstellung von "Ritterlichkeit" verschrieben. Zu der gehörten Fairness, Ehrlichkeit und Wahrheit. "Das sind ganz tolle Werte. Diese Old-School-Message hat mich schon gereizt, auch wenn heute eher andere Eigenschaften zählen". "Cool sein" stehe beispielsweise viel höher im Kurs als "Ehrlichkeit". "Denken Sie nur an die ganzen Facebook-Einträge, mit denen die Jugendlichen danach streben, ganz bestimmte Bilder von sich zu produzieren." Mit der Wahrheit, sagt Huettner, habe das nicht unbedingt etwas zu tun.

Burg Schreckenstein , Regie: Ralf Huettner, läuft von Do., 20. Okt., an in vielen Kinos

© SZ vom 19.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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