Kino:Trost durch Trauer

Lesezeit: 2 min

Der Heiland als trauriger Clown: Der Choreograph Emio Greco tanzt seine persönliche Vorstellung von der Passionsgeschichte. (Foto: Edition Salzgeber)

Der Essay-Film "Erbarme Dich" schöpft Kraft aus der Matthäus-Passion

Von Klaus Kalchschmid, München

Es wird viel gesungen und musiziert in diesem Film, vor allem aus der Matthäus-Passion, aber auch die Aria aus den Goldberg-Variationen oder Ausschnitte aus einer modernen Passion für 19 Stimmen a cappella von Boudewijn Tarenskeen. Aber "Erbarme Dich" ist kein Musikfilm und auch keiner über das berühmteste und reichhaltigste Passions-Oratorium. Vielmehr handelt er von der Macht der Musik, vom gewaltigen Trost, den sie spenden kann, und davon, wie die Matthäus-Passion - auch in ihrem Text - das Leben von Menschen verändert hat.

Stellvertretend erzählen: Der Dirigent (Pieter Jan Leusink) von seinem strengen, bigotten Vater; die Tochter vom Kennenlernen der Eltern über die Bach-Passion und darüber, wie sie ihr ungeborenes Leben gerettet hat; der Maler (Rinke Nijburg) von seinem jungen Sohn, der ihm Modell liegt auf dem Totenbett; der Regisseur (Peter Sellars) von Musik, die so wunderbar tröstet, weil sie trauriger ist als der Zuhörer, und von Tränen; der Chorleiter von der Probe, die die zuvor vermisste Energie zurückgibt; der Tänzer von einer "passione a due"; der Sopran von der Flucht aus Novosibirsk; und die Schriftstellerin (Anna Enquist) vom Trost der Goldberg-Variationen. Das geschieht auf Niederländisch, aber auch auf Englisch, Russisch, Italienisch oder Deutsch, wenn gesungen wird.

Persönliche, tiefgreifende Erfahrungen sind das, die konterkariert werden in Ausschnitten aus Filmen von Ingmar Bergman, Pasolinis "Accatone", mit Bruno Walter am Dirigentenpult oder Magdalena Kožena in Sellars' szenischer Version. Zu "O Haupt voll Blut und Wunden" boxen zwei Männer oder ringt ein nacktes Paar miteinander. Und während Lorriant Hunt Lieberson rührend aus dem umgehängten CD-Player "Ich habe genug" singt, macht sich ein Radfahrer durch Amsterdam auf zum Friedhof.

Nichts ist feierlich in diesem Essay-Film von Ramón Gieling, der auch kein Dokumentarfilm ist. Denn er erklärt sich einzig aus einem faszinierenden Kaleidoskop von Bildern, Sprechen, Hören, Musizieren. Im Gegensatz zu anderen Filmen, in denen stört, wenn über der Musik geredet, sie ein- oder ausgeblendet wird, merkt man dies hier kaum. Die seltsam halbfertige oder verfallene schmucklose Kirche, in der von Bach-Chor und -Orchester der Niederlande und verschiedenen Solisten gesungen und gespielt wird, sieht so unwirtlich aus und vermittelt ein solches Gefühl von Unbehaustheit, wie die Musik umso mehr Wärme und Zärtlichkeit verbreitet. Aber auch diese Kirche ist Zitat - auf riesige Leinwand gemalt.

Am Anfang versuchen sich Obdachlose rührend intensiv an einem Bach-Choral; am Ende -als Abendmahl à la Leonardo zelebriert, aber profanisiert - überlagert allmählich der Profi-Chor die inbrünstig singenden Amateure: "Sanfte ruh, ruhe sanfte, sanfte ruh".

Erbarme Dich , Arri-Kino, So. & Mo., 16. & 17. Apr., 11.30 Uhr; Neues Maxim (OmU), Sa.-Mo., 15.-17. Apr., 16.50 Uhr

© SZ vom 15.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: