Kino:Terror und Utopie

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Wie das Kino auf den Terror reagieren kann: Zum Jahrestag der Pariser Anschläge diskutiert Frankreich Bertrand Bonellos Film "Nocturama", in dem eine radikale Gruppe Bomben in Paris legt.

Von Philipp Stadelmaier

Schon das dumpfe Surren des Helikopters über den Dächern verspricht, gleich zu Anfang des Films, höchste Gefahr. Als hätte es eine Sicherheitswarnung gegeben, als würde eine Fahndung laufen. Mehr braucht es nicht, damit sich sofort dieses Pariser Terrorgefühl einstellt, diese Gewissheit, dass sich irgendwo ein tödliches Kommando in Bewegung gesetzt hat, das Gefühl, dass ein fatales Zulaufen auf den Tod begonnen hat, das nichts mehr aufhalten kann.

Dann sehen wir junge Männer und Frauen in der Metro, unterwegs zu verschiedenen Orten, mit entschlossenen Gesichtern. Lange Zeit wird kein Wort gesprochen, denn zwischen ihnen ist längst alles abgemacht. Bald steigen sie aus, hasten durch die Gänge von Metrostationen, durch Straßen. Sie vergleichen Uhrzeiten und schicken sich Kurznachrichten, in denen sie nur mit Bildern kommunizieren. Sie sind vorbereitet, präzise und koordiniert. Nach und nach gelangen sie an ihre Ziele: das französische Innenministerium, ein Bankhochhaus, die Pariser Börse, eine goldene Statue von Jeanne d'Arc. Sie legen Bomben. Dann, zeitgleich, mehrere Explosionen in der ganzen Stadt, alles steht in Flammen. Außerdem exekutieren sie einen Bankdirektor in seiner Wohnung.

Was Bertrand Bonello in seinem neuen Film "Nocturama" zeigt, erinnert stark an die Pariser Terroranschläge des letzten Jahres. Ging es bei denen gegen ein Redaktionsbüro, einen jüdischen Supermarkt und ein Konzerthaus, so geht es im Film gegen Institutionen des Staates, des Kapitals und der nationalen Identität, repräsentiert durch die Statue der Nationalheldin. Das sind zwar ganz verschiedene Ausrichtungen, und auch sind die jungen Terroristen bei Bonello keine Islamisten, sondern junge Franzosen aus allen möglichen sozialen Schichten. Hochsymbolisch sind die Ziele aber allemal. Gedreht wurde im Sommer 2015 - ein halbes Jahr nach Charlie Hebdo, ein paar Monate vor den Anschlägen am 13. November im Bataclan.

Das Faszinierende an Bonellos Film, der schon seit 2011 geplant wurde, ist, dass er inmitten dieser Ereignisse entstand und herauskam, aber nicht von ihnen inspiriert ist. Darin ähnelt er "Bastille Day", der schon 2015 entstand. In dem Thriller gibt es ebenfalls einen Anschlag in Paris, als Ablenkungsmanöver für einen Bankraub. "Bastille Day" sollte eigentlich im Frühjahr 2016 starten, wurde aber nach den Novemberanschlägen verschoben und in Frankreich nach seinem Start am 14. Juli ganz abgesetzt, nachdem am Nationalfeiertag ein Mann in Nizza mit einem Lkw mordete. Im Schatten von Nizza stand auch der Kinostart von "Nocturama", der Ende August in die französischen Kinos kam.

Wie sieht eine Terrorgruppe aus, die Bomben in ganz Paris zünden will? In Bertrand Bonellos utopischem Albtraum "Nocturama" sind die Täter wild gemischt. (Foto: Wild Bunch)

Anders als in "Bastille Day" ist der Terror bei Bonello ein politischer. Für die gesellschaftlichen Motivationen seiner Figuren interessiert er sich dennoch wenig. Einige Gründe werden zwar genannt: Leistungsdruck auf den Elitehochschulen, Arbeitslosigkeit, ein Leben voller Billigjobs. Aber all das wird nur gestreift, um sofort wieder fallen gelassen zu werden. Man überfliegt kurz einen Artikel über einen Finanzskandal auf einem Tablet, um dann doch träumerisch in einem Requiem von Berlioz zu versinken, und wenn einer der Attentäter vom Paradies spricht, dann nur, um dies als perfides Versprechen zu entlarven: Die Iraker hätten einst Esel nicht dazu bringen können, ein Minenfeld zu betreten, dafür aber eine Schar von Kindern, denen man das Himmelreich versprochen habe. Über den antinationalen, antikapitalistischen oder islamistischen Motivationssplittern liegt ein Gefühl der Melancholie, der Leere, des Verlusts der Illusion über jegliche Ideologie.

Dies verstärkt sich in der zweiten Hälfte des Films. Während es Nacht wird und überall Sirenen und Hubschraubergeräusche zu hören sind, versteckt sich die Bande, wo man sie am wenigsten vermuten würde: im Luxuskaufhaus Samaritaine mitten in Paris. Hier warten sie auf den nächsten Morgen. Bis dahin hören sie Musik aus gigantischen Stereoanlagen, essen die teueren Lebensmittel, spielen Playstation, fahren Autoscooter. Auf die politische Aktion folgt die infantile Regression, das Austoben auf einem Riesenspielplatz. Keine Spur von politischem Bewusstsein.

Bonello ist ein großer Ästhet und Genussmensch. Zuletzt hatte er "Haus der Sünde" gedreht, über ein Fin-de-Siècle-Bordell, dann einen Film über Yves Saint Laurent. Den Geschmack am Exzess behält er auch in "Nocturama". "Paris est une fête" sollte der Film zunächst heißen, nach Ernst Hemingways Erinnerungen "Paris - ein Fest fürs Leben". Nach den Anschlägen vom November hat Bonello den Titel aber geändert, um sich nicht vorwerfen lassen zu müssen, er würde nur eine der spaßbejahenden Phrasen übernehmen, mit denen dem "Angriff auf die westliche Lebensweise" getrotzt werden sollte.

Der Film wurde nicht nach Cannes eingeladen, weil darin "moderner Djihadismus" vorkomme

Aber wie sehr Bonello auch versuchte, sich aus der Aktualität herauszuhalten - diese holte ihn immer wieder ein. So kam es in diesem Jahr, lange nach Ende der Dreharbeiten, in Frankreich zu massiven sozialen Protestbewegungen wie "Nuit Debout", deren Akteure gegen ein liberaleres Arbeitsgesetz und Polizeigewalt protestierten - und meist so alt waren wie jene im Film. Zwar hatte auch Bonello Schauspieler aus der linken militanten Szene gecastet, aber nicht, weil er ihre Positionen teilte, sondern weil er ihnen ansehen wollte, wie sich jene bewegen, die ein Bewusstsein von einem zu erreichenden Ziel haben.

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Gerade aufgrund dieser Überschneidungen wurde der Film nicht zu den Filmfestspielen in Cannes eingeladen: Er vermische modernen Dschihadismus mit alten terroristischen Strategien (dem Bombenlegen) der Anarchisten, fand ein Sektionsleiter, während heutige linke Jugendliche eher zu "Nuit Debout" gehen würden. Linke Filmkritiker, die "Nuit Debout" nahestehen, haben wiederum lamentiert, dass es bei Bonello keinen politischen Diskurs über den Terror gäbe und die Protagonisten jenem Konsumsystem verhaftet blieben, gegen das sie aufbegehren - als hätte er eine soziale Analyse und eine politische Agenda vorlegen sollen.

Bonellos Film ist weder realitätsgetreu noch militant. Man könnte auch sagen: Er reproduziert nicht den wirklichen Terror. Sondern er untersucht ihn als Utopie. Zum einen, weil die Gruppe aus Bürgersöhnen besteht, die Praktika im Innenministerium machen können, ebenso wie aus arabischstämmigen Kids aus der Banlieue, die im Café jobben. Aber darin steckt kein klassenübergreifendes "Vereinigt euch!", sondern eine Utopie jenseits aller Ideologien und Zwecke, die sinnlos und leer ist: der Tod, auf den die Gruppe unausweichlich zuläuft.

Denn das Kaufhaus, in dem sie sich verschanzt, ist bald von der Antiterroreinheit der Polizei umstellt: Terror bringt den Tod, Terror endet im Tod. Um diesen Zulauf auf den Tod deutlich zu machen, braucht es aber ein großes dekadentes Verkleidungsfest, wie es nur im Kino möglich ist. Wenn das Kaufhaus einem luxuriösen Verkleidungsbasar gleicht, in dem Seidenbademäntel, edle Anzüge und goldene Masken angelegt werden - dann scheint es, als würden Fast-Tote noch einmal Leben spielen, während sie zunehmend der kalten und leblosen Warenwelt ähneln, die ihnen längst zur Grabbeigabe geworden ist.

© SZ vom 11.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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