Kino:Sommernachtsalptraum

Lesezeit: 2 min

Die "Mad Men"-Lady Elisabeth Moss spielt in dem unheimlichen Kinomelodram "Queen of Earth" von Alex Ross Perry.

Von David Steinitz

Zunächst gibt es ein Mascara-Massaker in porentiefer Großaufnahme: Wir sehen das aufgedunsene, verheulte Gesicht einer jungen Frau, voll verschmierter Wimperntusche um die Augen. Die Haare bilden einen strähnigen Rahmen um dieses Komplettpaket aus Verzweiflung. Catherine (Elisabeth Moss aus "Mad Men") bekommt gerade von ihrem Freund erklärt, dass er ein anderes Mädchen kennengelernt hat und zu der Neuen ziehen wird.

Die hektischen Inszenierungskonventionen des modernen Kinos, zumal des amerikanischen, lösen solche Beziehungsdramen gerne mit heftigen Schnittwechseln zwischen den Partnern auf, während die Argumente und Beleidigungen hin- und herfliegen. In seinem Drama "Queen of Earth" bleibt Regisseur Alex Ross Perry aber lieber am tränennassen Gesicht seiner Hauptdarstellerin kleben und setzt damit schon mal das ästhetische Prinzip für diesen Sommernachtsalbtraum: Der Film ist eine Orgie aus Großaufnahmen von verzweifelten Frauengesichtern. Perry, der seinen Bergman, seinen Fassbinder und auch seinen Polanski genauestens studiert hat, inszeniert diese Gratwanderung am Rande des Nervenzusammenbruchs als Verbeugung vor den großen Melodramen des europäischen Autorenkinos. Und das bedeutet selbstverständlich: wenig Handlung bei maximaler Emotionsdichte.

Nach der Trennung, bei der Catherine nervlich bereits schwer vorbelastet ist, weil kurz zuvor ihr Vater gestorben ist, fährt sie mit ihrer besten Freundin Virginia (Katherine Waterston) in deren Landhäuschen. In dem abgelegenen Haus - mitten im Wald, ein kleiner See vor der Tür - nehmen die beiden Frauen ihre Psychosen und Neurosen auseinander, streiten und versöhnen sich im steten Wechsel, während die Sonne im Wasser glitzert und durch die Baumwipfel blitzt.

Wenig Handlung bei maximaler Emotionsdichte: Elisabeth Moss liegt mit Liebeskummer in der Hängematte. (Foto: Arsenal)

Das klingt jetzt natürlich ein bisschen nach der ambitionierten Abschlussarbeit eines Filmstudenten, der zu viel in Retrospektiven der europäischen Kinomeister gesessen ist. Das Aufregende an Perrys Spätsommermeditation ist aber, dass er seine Autorenfilmer-Hommage mit amerikanischem Suspense-Anspruch vermixt, was "Queen of Earth" zu einem interessanten Filmbastard aus Kunst- und Mainstreamelementen macht. Mit dem Film hat sich der 32-jährige Perry, der in New York Film studiert hat, endgültig zu einem der spannendsten Köpfe des US-Independent-Kinos entwickelt. Mit seinen vorhergehenden Filmen "The Color Wheel" und "Listen Up Philip" - ebenfalls große Neurotikerstudien - ist er bereits auf diversen Festivals vertreten gewesen.

Während sich die meisten begabten Indie-Regisseure in den USA mittlerweile oft blitzschnell ins große Studiosystem begeben, weil es unter den Hollywoodproduzenten ein beliebter Sport geworden ist, wer die wilderen Jungtalente fürs Blockbusterkino rekrutieren kann, bastelt er stoisch an seinen schrägen Ostküstengeschichten und Intellektuellenleiden herum. Aber das mit großem Interesse für die Mechanismen des klassischen Hollywoodkinos. Als hätte der Regisseur sich beim Drehen ständig gefragt, wie wohl der alte Publikumsschocker Hitchcock diese oder jene Szene weiblichen Beziehungselends inszeniert hätte, liegt über dem Film eine permanente, angespannte Stimmung der Bedrohung. Die Sommerhitze sieht verdammt kühl aus, so wie seine Protagonistinnen emotional vor sich hinfrösteln und sich ständig in Strickjäckchen einwickeln. Der See wirkt weniger wie ein Naherholungsziel für erschöpfte Städter denn wie ein menschenschluckendes Monster, wenn die Freundinnen mit dem Kanu darüber paddeln.

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Der merkwürdige Nachbar, der ständig grundlos auftaucht und niemandem etwas tut, aber von Patrick Fugit durchgehend so gespielt wird, als trüge er ein fieses Meuchelmörderinstrument unterm wohl gebügelten Hemd, tut sein Übriges zur allgemeinen Bedrohungslage.

Und dann kommen eben noch die ständigen Nahaufnahmen der Frauengesichter hinzu, die in ihrer Aneinanderreihung beim Zuschauer das Bedürfnis hervorrufen, aus einem grundlegenden biologischen Schutzinstinkt heraus doch bitte auch mal nach links und rechts schauen zu dürfen. Die Bedrohung bleibt so lange als reine Theorie in der Luft schweben, dass sie fast schon komisch wirkt - kurz bevor sie Praxis wird und sich die ein oder andere Manie Bahn bricht.

Queen of Earth , USA 2015 - Regie, Buch: Alex Ross Perry. Kamera: Sean Prive Williams. Schnitt: Robert Greene. Mit: Elizabeth Moss, Katherine Waterston, Patrick Fugit. Arsenal, 90 Minuten.

© SZ vom 10.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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