Kino:Sie kommen nie raus

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Da wird harte Arbeit geleistet: David Millar in "Tim Trial". (Foto: Mindjazz Pictures)

Der Dokumentarfilm "Time Trial" porträtiert den Rennradprofi David Millar - und zeigt das Klaustrophobische dieses Leistungssports.

Von Fritz Göttler

Zwölf Touren durch Frankreich hat er absolviert, bei der dreizehnten wurde er dann plötzlich gestrichen. Das hat David Millar hart getroffen, er streicht sich, als er davon erzählt, über die Augen, kann ein Schluchzen kaum unterdrücken. Über zehn Jahre war er einer der ausdauerndsten, erfolgreichsten Radprofis. Finlay Pretsells Film "Time Trial" zeigt ihn bei der Tour de France und bei anderen großen Radrennen, der Tour de Flanders oder dem Tirreno Adriatico. Er tut das, wofür das Kino erfunden scheint - er dekliniert die Schönheit und Dynamik der puren Bewegung. Ein motion picture.

Es ist viel Sonne in diesem Film, viel südliches Licht, es geht durch grüne Landschaften und durch Städtchen und Dörfer, die man nur malerisch nennen kann. Am Ende überwiegen dann lange graue Passagen, auf regennassen Straßen. Bei der Tour de France 2000 gewann David Millar das Einzelzeitfahren zu Beginn, drei Tage trug er danach das Gelbe Trikot. Im Jahr 2003 konnte er diverse internationale Zeitfahren erfolgreich beenden. 2004 gab er zu, Epo eingenommen zu haben, er wurde gesperrt bis 2006, der Weltmeistertitel wurde ihm aberkannt. Seitdem engagiert er sich für sauberen Radsport, gegen Doping.

Wenn man das Hotelzimmer eines Radprofis betritt, sinniert er mal, "ist der Stuhl da drin unbenutzt. Man liegt immer auf dem Bett. Ich mag das manchmal, dieses Nichtstun. Man genießt die Ruhe, denkt über seine Sünden nach." Ein versonnenes Grinsen zieht plötzlich über das Gesicht. Über Doping will er nicht mehr sprechen, das Thema ist für ihn erschöpft. "Ich habe Hunderte Male davon erzählt."

Der Film beschwört den Rausch der Geschwindigkeit aus allen möglichen Perspektiven, auch subjektiv, aber auf die Momente hinreißender Eleganz und Leichtigkeit folgt oft in der folgenden Einstellung ein Gefühl von lastender Schwere - da wird harte Arbeit geleistet, verbissen und mechanisch, den Oberkörper waagrecht nach vorn gebeugt, die Unterarme auf dem Lenker liegend, die Beine in hastigen, verkrampften Bewegungen, und wenn man den Fahrer plötzlich von hinten sieht, wirken die Beine schrecklich krumm.

Zwei Fahrer nebeneinander machen manchmal freundliche Konversation - "Warst du im Sommer in Tschechien?" -, aber der große Pulk insgesamt ist eine amorphe, bedrohliche Masse, eine Maschine, die sich langsam voran schiebt. TV- Übertragungswagen schwirren um sie her und die Wagen mit den Teams, mit Ersatzrädern auf dem Dach und guten Tipps, die sie über Funk an die Fahrer geben. Manchmal, wenn der Regen stärker wird, reichen sie ihnen eine Jacke zum Fenster hinaus. "Sie kommen nie raus", sagt Finlay Pretsell von den Fahrern, "sie sind permanent in Bewegung, aber eigentlich sind sie statisch. Nie sehen sie die Landschaft, können die Städte nicht genießen oder die Strände. Sie sind entweder in Hotelzimmern oder auf dem Rad." Dieser Film, der von der absoluten Freiheit zu träumen scheint, hat etwas Klaustrophobisches.

Time Trial , USA 2018 - Regie: Finlay Pretsell. Kamera: Martin Radich. Kameraoperator: Blair Scott. Schnitt: Kieran Gosney, Dino Jonsäter. Soundtrack: Dan Deacon. Mindjazz Pictures, 82 Minuten.

© SZ vom 11.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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