Kino:Sagerers Schlachtfest

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Restauriert, digitalisiert und wiederaufgeführt: "Aumühle", ein Film über die kaum gesühnte Hatz niederbayerischer Dörfler gegen ein Behindertenheim als grausames Seelengemälde

Von Eva-Elisabeth Fischer

Viel Sp..." sagt er zum Schluss seiner kurzen Ansage. Das Wort "Spaß" lässt Alexeij Sagerer im Halse stecken. Vorhang auf für "Aumühle", seinen Film über eine tatsächlich geschehene Ungeheuerlichkeit. Es ist auch visuell ein ununterbrochener Schock, 90 Minuten lang, gedreht 1973 in Schwarzweiß auf 34 Millimeter in einer ehemaligen Braunkohlegrube in Schwandorf mit Schauspielern des ProT.

Anlass der neuerlichen Premiere des Films im Rio Filmpalast ist dessen Restaurierung und Neuaufbereitung. Denn der ProT-Mann Sagerer, Schöpfer des so genannten unmittelbaren Theaters, will all seine ebenso unmittelbaren Filme, die er als Parallelwerk zu seinen Theaterarbeiten begreift, als einen zentralen Aspekt seiner künstlerischen Entwicklung neu sichtbar machen: digitalisiert fürs Kino oder abrufbar auf Vimeo im Netz. "Aumühle" kommt dabei in seiner spezifischen Dramaturgie als Zwitter zwischen Dokumentation und düster-ikonografischen Spielszenen in drei inhaltlich konträren, geschickt ineinander verflochtenen Strängen besondere Bedeutung zu.

Der Film entstand vier Jahre nach dem Skandal um den niederbayerischen Weiler Aumühle in der beschaulich-hügeligen Gemeinde Fürsteneck. Dort rotteten sich am 17. Oktober 1969, angeblich aus Angst vor Einbußen im Fremdenverkehr und angestiftet von ihrem Pfarrer Georg Stetter, die aufgebrachten Dorfbewohner nach dem Motto "Die Deppen woll'n ma hier net" zusammen. Sie vertrieben die ersten Ankömmlinge in einem Haus für behinderte Jugendliche und schlugen deren Heimleiter Georg Villain krankenhausreif. Danach ließen sie die als Heim vorgesehene ehemalige Pension in Flammen aufgehen.

Der Fall ging drei Jahre nach der Uraufführung 1966 von Martin Sperrs gleichnamigem Drama um eine tödliche Schwulenhatz unter dem Rubrum "Jagdszenen in Niederbayern" durch die Presse und endete vor Gericht wie das Hornberger Schießen. Pfarrer Stetter musste wegen Volksverhetzung 1800 Mark Bußgeld bezahlen, auch weil er den für das Projekt zuständigen Arzt Dieter Loew als "Judensau" beschimpft hatte. Die Dorfbewohner wurden, obgleich nachweislich antisemitisch (und angeblich weniger behinderten-feindlich) motiviert, vom gleichen Strafbestand freigesprochen. Der Brandstifter wurde nie gefunden. Denn die Gemeinschaft von damals ungefähr 750 vergifteten Seelen hält bis heute eisern dicht.

Es erschreckt, aber überrascht kaum, in Zeiten offiziell propagierter Inklusion rückschauend zu konstatieren, wie wenig sich 24 Jahre nach dem Zusammenbruch des "Dritten Reichs" verändert hatte. Allerdings ist es ja auch noch nicht allzu lange her, dass Gäste eines Hotels den Reiseveranstalter verklagten, weil sie den Anblick von Behinderten im Speisesaal als unzumutbar empfanden.

Nicht nur deshalb erstaunen jene Dokumentaraufnahmen von Behinderten in ihrer Werkstatt oder beim Ringelpiez, wie sie Sagerer ungewohnt liebevoll platziert. Klar, sie bleiben unter sich, entsprechen aber keineswegs dem deplorablen Eindruck, wie er von Einrichtungen zwangsweise Weggesperrter auch noch in den Sechzigerjahren vermittelt wurde. Sagerer setzt diese fröhlichen Bilder ein als Kontrast zu den peinigend windelweichen Ausreden des Pfarrers Stetter wie auch den unfreiwillig komischen Schilderungen des malträtierten Heimleiters. Vor allem aber konterkariert er damit den dumpfen Atavismus der Dörfler.

Alexeij Sagerer, Gründer und Leiter des ProT. (Foto: Robert Haas)

Die Dorfszenerie, die er im Schlamm der trostlosen Kohlenhalde zu Jürgen von Hündebergs dumpfen Orgelklängen samt Chorgesang inszeniert inmitten der zahnlückig in den grauen Himmel ragenden Bretterzäune von Ausstatter Nikolai Nothof, mutet an wie ein fernes grausames Ritual. Oder wie ein zivilisatorischer Bruch nach einem GAU. Und doch eröffnet sie nicht viel mehr als die auf ihre Rudimente reduzierte, stilisierte Seelenlandschaft eines Volksstammes, der sich hier noch hinterwäldlerischer, unartikulierter und roher gibt, als ihm gemeinhin unterstellt wird. "Da geh her!" brummt der Bauer, während er der Frau untern Rock greift. "Prager Judensau" bellt einer Dr. Loew analog zu dessen Namensvetter Rabbi Löw hinterher. "'s Rooss und's Kloavieh" wird den Dörflern einsilbig beschieden, wenn es um die Schlacht-Ordnung geht. Es ist ein ununterbrochenes Schlachten, immer wieder auch in Nahaufnahme durch die Beine des Schlachters fotografiert, zu dem sie sich ihr Federvieh vom Boden aufklauben und regungslos vor dem Holzbock anstellen: Vogel ablegen, am Schnabel festhalten. Axt trennt Kopf vom Körper, der wild in den Tod zuckt, um dann in einem Massengrab verscharrt zu werden. Die Hühner- und Gänseköpfe verwesen, auf Holzhaken sorgsam aufgesteckt. Kinder herzen tote Kätzchen.

Es gibt keine Frage nach dem Warum, auch nicht, wenn ein Schwein wie ein Schubkarren auf den Dorfplatz bugsiert und dann mit frisch gedengelter Sense grausam niedergemetzelt und ausgeweidet wird. Das Bild wiederholt sich und wiederholt sich, wie es die Pogrome gegen die Anderen bis heute tun. Der Schweinskopf wird einer gekreuzigten Schönen aufgesetzt, Verkörperung der Judensau und leibhaftiges Memento an den Hexenprozess, den es im Jahr 1703 in Fürsteneck gegeben hat. Das Autodafé kann beginnen. Die Flammen lodern schon.

Heute übrigens ist "das grausame Dorf", wie Aumühle, der Weiler in der Gemeinde Fürsteneck, seinerzeit genannt wurde, eine Freizeitpark GmbH. Ein Schuft, wer Böses dabei denkt.

© SZ vom 29.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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