Kino:Natur als Herausforderung

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Jonathan Bamber liegt unter dem Gipfel des Tupendeo - ein Felsbrocken hat seinen Unterschenkel zerschmettert. (Foto: visualimpact.ch/Angus Atkinson)

Zwischen sportlichem Reiz und der Kritik am Massentourismus: das Internationale Bergfilm-Festival Tegernsee zeigt die Vielfalt des Genres

Von Albert Heilmann

Peitschender Wind, eiskalter Schnee, der Boden in weiter Ferne: zwei Männer erklimmen die Wand des Tupendeo, einem bisher unbestiegenen Berg im indischen Himalaya. Haken für Haken, höher und höher, Meter für Meter. Ein Felsbrocken löst sich, beschleunigt und zertrümmert das Schienbein des Einen. Das nächste Dorf ist Tage entfernt - die Situation scheint aussichtslos.

Es ist das Schicksal des Briten Jonathan Bamber, das der Dokumentarfilm "Tupendeo - Ein Berg, zwei Geschichten" aufarbeitet. Als einer der rund 93 Filme, die den Sprung auf den Spielplan des Internationalen Bergfilm-Festivals Tegernsee geschafft haben, war er Teil der Vorschau im Münchner Alpinen Museum, wo ein erlesener Querschnitt des Programms präsentiert wurde. "Bergfilm" - das klingt zunächst wie ein recht überschaubares Nischen-Genre, doch versteckt sich hinter diesem Begriff eine unglaubliche Vielfalt.

Und das beweist auch die Filmauswahl bei der Preview: "Freedom under Load" zeigt eindrucksvoll, dass in der Hohen Tatra die Uhren anders ticken. Denn dort werden die Berghütten noch wie im 19. Jahrhundert mit Proviant versorgt. Dafür sorgen hartgesottene Slawen mit zentnerschweren, prallgefüllten Umzugskartons und Kästen mit Pilsner Urquell auf dem Rücken. Es sind Porträts von Bergvagabunden, die unter dieser Last auf hunderten von Höhenmetern persönliche Freiheit erfahren.

Während man in der Slowakei auf Tradition setzt, wird in der Schweiz der Fortschritt vorangepeitscht: in Grindelwald soll der Massentourismus zukunftstauglich gemacht werden. Mithilfe einer Hightech-Seilbahn, die das ganze Tal auf den Kopf stellen würde: "Der Preis des Erfolgs" zeigt, wie die Ambition, das Bruttosozialprodukt zu steigern, idyllischen Wohnraum und Berglandschaften zerstört.

Letztere werden in vielen Filmen des Programms mit Drohnen grandios dargestellt. Versuchen Filmemacher doch immer wieder mit Drohnenaufnahmen eine Produktion aufzuwerten - was funktionieren kann, aber nicht muss - scheint der Bergfilm genau das zu sein, wofür das Gerät erfunden wurde. Denn hier wird sie zu einem Werkzeug, das beim Geschichtenerzählen unterstützt - da man die Protagonisten, die Berge, so einfach viel besser in Szene setzen kann - und ist kein inflationäres Spielzeug, mit dem man nur spektakuläre Aufnahmen um des Spektakels Willens macht. So auch in der Doku "Into Twin Galaxys", bei dem eine Gruppe Tollkühner eine 1000 Kilometer lange Tour auf einem der größten Gletscher der Welt - Grönland - unternimmt. Der Film ist ein Beispiel dafür, wie Drohnenarbeit zum Stilmittel wird: die Relationen von Mensch und Natur werden herrlich eingefangen. Es ist aber auch ein Werk, das die Kraft der Natur und die daraus folgende Verrücktheit des Menschen thematisiert.

Wenn die Protagonisten in Gletscherspalten wandern und immer wieder im Eis einbrechen, läuft dem Zuschauer ein Schauer den Rücken herunter. Viele Filme des diesjährigen Festivalprogramms stellen existenzielle Fragen: Wie weit würde man gehen, um die Natur in ihrer puren Form, in ihrer Vollkommenheit zu erleben? Gerade auch mithilfe von Sportarten wie dem Base-Jumping ("Last Exit"). Zehn Freunde fingen vor Jahren mit dieser Extremform des Fallschirmspringens an - jährlich fordert sie Tote. Mittlerweile ist der Freundeskreis auf vier Personen geschrumpft. Und trotz Verlust und Trauer überwiegt die Adrenalinsucht, das Verlangen nach dem Gefühl mit bis zu 200 Stundenkilometern wie ein Vogel dem Boden entgegenzufliegen. Die Menschen gehen an ihre Grenzen, und schießen nicht selten über das Ziel hinaus.

Der Bergsteiger Jonathan Bamber dagegen überlebt seinen Unfall am Tupendeo. Drei Jahre lang kämpft er um sein Bein - sieben Jahre später gewinnt er dann schon einen Halbmarathon. Es ist eine von vielen Geschichten, die eine intensivere Auseinandersetzung mit dem Bergfilm lohnenswert macht.

Internationales Bergfilm-Festival Tegernsee, 18. bis 22. Oktober, Programminfos unter www.bergfilm-tegernsee.de

© SZ vom 18.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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