Kino:Jäger im Eis

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Wie kalt wird es in Wyoming? Der Neo-Western "Wind River" gibt eine Ahnung davon. Und zeigt, dass man in einer Gegend, in der jeder unnötige Atemzug die Lunge einfrieren lässt, am besten gradlinig erzählt.

Von Tobias Kniebe

Arschkalt ist es hier, schon klar. Aber das sagt sich so leicht. Man sitzt irgendwo im Warmen und meint, die Sache verstanden zu haben - und ahnt doch nicht, wie gnadenlos diese Kälte wirklich ist, was sie für die Menschen dort oben bedeutet. Dort, im Bundesstaat Wyoming im mittleren Nordwesten, werden regelmäßig die tiefsten Inlandstemperaturen der USA gemessen. In den Bergen, wo das "Wind River"-Indianerreservat liegt, fällt das Celsius-Thermometer an manchen Tagen bis auf minus fünfzig Grad.

Findet man in dieser Gegend die Leiche einer jungen Frau im Schnee, gelten andere Regeln als sonst im Kino. Man muss zum Beispiel auf die blutroten Flecken vor dem Mund achten. Ist das Opfer gerannt, womöglich in Todesangst? Hat sie dabei zu viel von der eiskalten Nachtluft eingesogen, bis alle Lungenbläschen geplatzt sind? Und warum ist sie barfuß, die Füße erfroren noch bei lebendigem Leib, so viele Meilen von jeder menschlichen Behausung entfernt?

Der Serienkiller Nummer eins in dieser Gegend ist die Kälte

Grausame Dinge müssen hier geschehen sein, diese Gewissheit prägt Taylor Sheridans Film "Wind River" von Anfang an. Aber so brutal sich die Menschen hinter dieser Tat sicherlich verhalten haben, so sehr fordert auch die Natur gleich ihren Respekt. Die Frau ist vergewaltigt worden, wahrscheinlich sogar von mehreren Männern - ihre eigentliche Todesursache aber war die Kälte. Sie ist der Serienkiller Nummer eins in dieser Gegend. So war es schon, als die Stämme der Arapaho und der Shoshonen hier einst herrschten, und so ist es noch immer, all der Motorschlitten und Gesichtsmasken und Hightech-Schneeanzüge zum Trotz, die den Menschen heute zur Verfügung stehen.

Kommt man als Außenseiter in diese majestätische Bergwelt, wie die ermittelnde FBI-Agentin Jane (Elisabeth Olsen), kann es schnell vorbei sein. Einmal mit den falschen Autoreifen im Schnee stecken geblieben, einmal mit einer zu leichten Winterjacke losmarschiert, schon sinken die Überlebenschancen rapide. Jane merkt, dass sie ortskundige Hilfe brauchen wird, und findet sie in dem Jäger und Fallensteller Cory (Jeremy Renner), der die Tote auf einem seiner Streifzüge im Schnee entdeckt hat.

Zusammenstehen gegen die brutale Natur: der Jäger Cory (Jeremy Renner, r.) und sein indianischer Schwiegervater (Häuptling Apesanahkwat). (Foto: Wild Bunch)

Recht schnell wird klar, was diese Allianz bedeutet. Denn die Gesetze des Überlebens, die hier von der Kälte diktiert werden, bestimmen auch alle anderen Bereiche des Lebens. Die Distanzen sind riesig, die Zahl der Polizisten ist lächerlich gering, Einsamkeit und Mangel an Perspektiven haben die Menschen verrohen lassen, oder besser gesagt: die Männer. Hier wird nicht so ermittelt, wie das Handbuch des FBI es vorsieht, mit Zeugenrechten und Unschuldsvermutung. Hier wird gejagt.

Die amerikanische Zivilisation, ihr Fortschreiten und ihr Zusammenbruch, ihre permanenten Rückfälle in die archaischen Zeiten des Wilden Westens - das ist das große Thema das Filmemachers Taylor Sheridan. Als Drehbuchautor hat er das schon in "Sicario" verfolgt, einer Erzählung aus dem mexikanischen Drogenkrieg, in der eine andere FBI-Agentin erkennen musste, dass sie Teil einer Todesschwadron geworden war. Sein Script zu "Hell or High Water" führte das Motiv im letzten Jahr fort: Dort ist es die Gier der amerikanischen Banken, die den Firnis der Zivilisation bröckeln lässt und zwei Brüder dazu zwingt, die Zukunft ihrer Familie als mörderische Outlaw-Bankräuber zu verteidigen. Auch hier spielten schon Indianer eine Rolle, als das ursprünglich betrogene Volk. Bei "Wind River" hat Sheridan jetzt erstmals Regie geführt. Von Anfang an zeigt er dabei jenes besondere Gespür für die Landschaft und die Natur, das einen echten Western-Regisseur auszeichnet. Auch wenn es hier vor allem ein Gespür für die Kälte ist.

Denn das Eis, das wird mit jeder Szene klarer, hat sich längst auch in alle Herzen gefressen. Das Opfer gehörte zum Stamm der Arapaho, und seine Familie, stellen die Ermittler fest, ist völlig kaputt: die Mutter ein Wrack des Schmerzes, der Sohn so tief im Drogenrausch mit seinem Kumpels, dass schon ein Besuch in ihrem Trailer tödliche Folgen hat. Auch Cory, der weiße Jäger, der eine Indianerin geheiratet hat, ist in diese Spirale des Schmerzes und der Hoffnungslosigkeit verstrickt. Seine eigene Tochter wurde, einige Jahre zuvor, ebenfalls tot im Schnee aufgefunden.

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So weckt der Film ein wenig die Erwartungen eines konventionellen Murder-Mysteries, das nicht nur die Rätsel der Gegenwart in vertrackten Wendungen zu lösen verspricht, sondern auch noch Licht in alte Geheimnisse bringt. Aber wieder hat man das Gefühl, dass das Drehen vor Ort, dass die Natur und die Bergwelt diesem Film am Ende ihre eigene Logik aufgezwungen haben. Denn in einer Gegend, in der jeder unnötige Atemzug die Lunge einfrieren lässt, erzählt man seine Geschichten am besten simpel - und sehr, sehr gradlinig.

Wind River , USA 2016 - Regie und Buch: Taylor Sheridan. Kamera: Ben Richardson. Mit Jeremy Renner, Elisabeth Olsen. Wild Bunch, 107 Min.

© SZ vom 10.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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