Kino:Hoffen auf den kulturellen Dialog

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Das Nürnberger Filmfestival Türkei Deutschland setzt weiterhin auf die Kunst des Brückenschlags. Doch die Zukunft ist ungewiss

Von Olaf Przybilla, Nürnberg

1992 hat Adil Kaya das Filmfestival Türkei Deutschland mitgegründet, es gäbe also Anlass, den 25. Geburtstag dieses Nürnberger Filmfestes zu feiern. Es bedarf aber nicht allzu großer Menschenkenntnis, um zu bemerken, dass dem Festivalpräsidenten danach nicht zumute ist: Kaya und seine Mitstreiter waren schon vor Festivalbeginn heftig ins Visier linksorientierter Gruppierungen geraten. Zwar konnte sich Kaya deren Argumente inzwischen einige Tage durch den Kopf gehen lassen, aber nein, sagt er, verstehen könne er sie immer noch nicht. Zu wenig aktuell, zu wenig politisch, zu wenig gegen die Politik Erdogans gerichtet sei das Programm des 22. Filmfestivals, schlägt es ihm entgegen. Kaya wiederum muss einräumen, dass das Filmfest ausgerechnet 25 Jahre nach der Gründung in einer finanziellen Krise steckt, die sich zu einer existenziellen Bedrohung auswachsen könnte.

Steckt das Nürnberger Filmfest also in der schlimmsten Phase seit seiner Gründung? Kaya muss kurz überlegen, schüttelt dann aber entschieden den Kopf. Das Festival wurde 1992 gegründet, "als in Deutschland Asylbewerberheime brannten", sagt er, "für uns war das ein Friedensprojekt für diese Gesellschaft." Das vergesse man schnell im Lauf der Jahre, ebenso wie die rechtsextremistische Bedrohung, derer er und seine Helfer vom Verein InterForum sich in den ersten Jahren ausgesetzt sahen. Kaya holt tief Luft und presst dann den Satz hervor: "Ich bin enttäuscht, dass wir für unpolitisch erklärt werden."

Kaya war eine Woche vor dem Start des Festivals, das am Samstag eröffnet wurde, regelrecht ins Kreuzfeuer geraten. Angesetzt war eine Pressekonferenz, Kaya wollte über die 40 Filme und 70 Künstler sprechen, die in Nürnberg bis zum 12. März zu sehen sein werden: über den Ehrenpreisträger Jürgen Jürges, als Kameramann gewissermaßen das Auge des Autorenkinos; über die neun Spielfilme und zehn Kurzfilme aus dem Wettbewerb; über Jurypräsident Edgar Reitz und den Ehrengast Zülfü Livaneli, einen der führenden Intellektuellen der Türkei; und natürlich über den zweiten Ehrenpreisträger Ara Güler, diesen genialen Dokumetaristen Istanbuls, der seine Stadt mit inzwischen 88 Jahren kaum noch verlässt, der sich aber auf den Weg nach Franken gemacht hat. 90 Minuten lang reden musste Kaya dann aber hauptsächlich darüber, welche politischen Diskussionsrunden dieses Filmfestival begleiten werden - und welche nicht.

"Absurd" sei es geradezu, schlug es Kaya von Medienvertretern entgegen, während des Festivals eine Debatte über die Terrorgruppe vom NSU zu führen, den Grundrechtsverletzungen in der Türkei aber keinen Gesprächskreis zu widmen. Schlimmstenfalls könne das wie ein Kotau wirken, wie ein Zurückweichen vor dem Konflikt. Michael Bader, Leiter der Tafelhalle und Vertreter der mitausrichtenden Stadt Nürnberg, sah sich im Lauf des Gesprächs sogar zur Feststellung veranlasst: "Der Eindruck wäre gänzlich falsch, dass irgendwas nicht angesprochen werden soll."

Kaya wirkt angesichts solcher Vorhaltungen regelrecht verstört. Immer wieder habe man während vergangener Festivals über autokratische Regierungsformen in der Türkei debattiert, sagt er. Im Vorwort des Festivalprogramms sei von "großer Verzweiflung" die Rede und von der "Erosion unserer Werte, auf die wir so stolz sind". Dies sei aber ein Kunstfestival, keine Ersatz-Talkshow. Und doch habe man zahlreiche Künstler eingeladen, die sich längst als Gesellschaftskritiker hervorgetan hätten. Sie könne man doch jederzeit zu allen Themen fragen. Womit der Festivalpräsident zweifellos Recht hat: Zu Gast bei der Eröffnung am Samstag war etwa Osman Okkan, der in Ankara geborene Dokumentarfilmer, der schon in den Siebzigerjahren nach einem Beitrag über türkische Extremisten von der Türkei zum "Staatsfeind" erklärt worden war. Bei der Festivaleröffnung ließ er keine Zweifel an seiner Verbitterung über die aktuelle Lage in der Türkei aufkommen. "Worte von Künstlern haben doch unendlich mehr Gewicht", sagt Kaya. "Haben diejenigen, die uns kritisieren, keinen Respekt vor diesen Künstlern?"

Tatsächlich droht die Struktur des Festivals, bislang als Stärke gepriesen, in der politischen Krise zum Schwachpunkt zu werden. Getragen wird das Filmfest hauptsächlich von einem Verein, der es mit einer Mischfinanzierung über Wasser hält. Maßgeblich daran beteiligt ist der türkische Staat, dessen Zuschuss über 50 000 Euro fast ein Viertel des Festivaletats ausmacht. Wie es kommendes Jahr weitergeht, sollte dieses Geld ausbleiben, und ob es überhaupt weitergehen kann, weiß keiner zu sagen. "Womöglich in kleinerer Form", sagt Kaya, werde man das Fest fortführen.

Auch Michael Bader von der Tafelhalle hört sich nicht euphorisch an: "Herr Maly", der OB von Nürnberg, könne "das fehlende Geld ja nicht aus der privaten Tasche drauflegen". Das Fundament des Filmfestes - zwei Staaten, ein Festival - scheint also plötzlich brüchig geworden zu sein. Und nicht nur das: In der Krise sehen Kritiker jetzt Abhängigkeiten und hinterfragen alles. Dass bei der Festivaleröffnung Politiker beider Länder zwar anwesend waren, auf der Bühne aber nichts sagten, wäre in der Kunstszene üblicherweise ein Grund zur Freude gewesen: mal kein Politpalaver zur Begrüßung. Am Samstag deuteten viele das Schweigen als Mangel an Haltung und Scheu vor dem Konflikt.

Ayten Akyildiz, die künstlerische Leiterin des Festivals, macht keinen Hehl daraus, wie sehr sie dieser Blickwinkel schmerzt. Gerade die Kritik von linksorientierten Gruppen, "die uns bislang so nie kritisiert haben". Sie sei aber fest entschlossen, diesen Weg der Kunst weiterzugehen: "Kultur baut eine Brücke", sagt sie. Und ja, man habe auch in der Vergangenheit damit zu kämpfen gehabt, "dass Teile der Brücke einstürzen und wir sie wieder aufbauen müssen". Dabei werde man bleiben und auf die Kunst vertrauen. Genauso übrigens, sagt sie, wie ihre Kollegen von den Türkischen Filmtagen München, deren 28. Filmfestival Mitte März beginnt. "Wir alle müssen versuchen, den kulturellen Dialog aufrechtzuerhalten", ist sie überzeugt.

Einen bewegenden Moment konnte man bei der Eröffnung des Nürnberger Festivals beobachten. Nach Osman Okkans Dokumentarfilm "Ara Güler - eine Istanbuler Legende" wurde der 88 Jahre alte Ehrenpreisträger selbst auf die Bühne gebeten. In Okkans Film sieht man, welchen Einfluss "das Auge Istanbuls", wie sie den Fotografen Güler nennen, auf die Arbeit zeitgenössischer Künstler ausübt. Orhan Pamuk kommt mit einer Eloge zu Wort, Regisseur Fatih Akin erzählt, wie sehr seine Bildsprache an der Ästhetik Gülers geschult ist. Bis dieser im Anschluss daran selbst die Bühne erklimmt, dauert es ein Weilchen.

Er sei gar nicht vorbereitet, wisse auch nicht, was nun von ihm erwartet werde, sagt er, als er oben ist. Dann macht er eine Pause, für einen Moment ist es still. Bis Güler sagt: Er würde sich wünschen, die Menschen dieser Welt würden einander lieben. Fotografen könnten dann ganz andere Bilder machen.

© SZ vom 08.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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