Kino:Glückskeks-Philosophie

Lesezeit: 2 min

Die Selfie-Doku von Sönke Wortmann "Deutschland. Dein Selbstporträt" will ein Stimmungsbild sein.

Von Rainer Gansera

Seifenblasen, Luftballons, Heißluftballons, ein Segelflug durch die Wolken - es häufen sich die Szenen, in denen das Schweben und Fliegen zum Leitmotiv wird. Menschen beim Trampolinhüpfen, Skateboardfahren, Bungee-Jumping. Sie breiten auch bei der Meditation gern flugsymbolisch die Arme aus. Die Kamera schwebt am liebsten übers Land, über deutsche Wälder, Wiesen und Auen hinein in die Sonne. Hebt Deutschland ab? Nein, Deutschland ist ein großer Freizeitpark, durchpulst von Achterbahnfahrt-Glücksgefühlen. So zeigt es "Deutschland. Dein Selbstporträt", die deutsche Variante des von Ridley Scott installierten "Life in a Day"-Formats.

Für seine Kinospektakel wie "Blade Runner", "Hannibal", "Prometheus" oder "Exodus" bedient sich der britische Filmemacher aus dem Schatz der Mythen und Legenden und porträtiert überlebensgroß Götter, Könige und Helden, sodass die Leinwände vor Actiondonner und Ehrfurcht erzittern. Als Produzent hat er ein Format entwickelt, das den Jedermann-Alltag als Reservoir ausschöpfen will und seit ein paar Jahren international vermarktet wird. Motto: Wir bringen das Prinzip Youtube ins Kino. Idee: Wir fordern die Menschen auf, ihr Leben an einem Tag in der Manier von Handy-Clips zu filmen, und lassen die eingesandten Beiträge von einem versierten Filmemacher zum Kompilationsfilm für das Kino gestalten.

So sieht Deutschland in der Clipkompilation von Sönke Wortmann aus. (Foto: Warner Bros.)

Das initiale Projekt war "Life in a Day" (2011), bei dem Kevin Macdonald Regie führte. Es folgten "Britain in a Day" (2012), "Japan in a Day" (2012), "Italy in a Day" (2014). "India in a Day" ist in Arbeit. Für die deutsche Version hat "Sommermärchen"-Regisseur Sönke Wortmann die Do-it-yourself-Videos gesichtet, ausgewählt und arrangiert.

Die Verheißung des Titels erfüllt sich nicht. Ein Deutschlandbild lässt sich in dem Kompilationspuzzle nicht erkennen. Es fehlen die Arbeitswelten, Subkulturen, Parallelwelten, die brisanten Themen, die sozialen Kontraste. Stattdessen Mainstream von kleinbürgerlich bis mittelständisch. Auf die Szene vom Golfplatz folgt die vom Minigolfplatz und damit sind auch schon die Grenzen des gesellschaftlichen Spektrums bezeichnet, das mit Ausflügen in die Öko-Alternativ-Szene verziert wird.

Als Leitfragen für die Selfie-Filmer waren vorgegeben: "Was macht dich glücklich? Wovor hast du Angst? Was bedeutet Deutschland für dich?" Die Ängste vor Armut und sozialer Deklassierung, von Soziologen in jüngsten Erhebungen als äußerst virulent und besorgniserregend beschrieben, kommen nur anekdotisch zur Sprache und verläppern sich in kauzigen Selbstdarstellungen. Die Ängste vor dem Flüchtlingszustrom finden eine einzige, vergleichsweise zurückhaltende Stimme, die sogleich von willkommenskulturfreundlichen Bekenntnissen umringt wird. Die Logik der geschürten Emotionen folgt einem immer gleichen Muster: auf die Andeutung einer Negativstimmung antwortet eine breite Salve von Glückskeks-Philosophie, Augenzwinkern und Schwebebildern. Es dominiert das Prinzip Nettigkeit, und das Hauptaugenmerk liegt auf der Freizeitgestaltung mit ihren Flugekstasen.

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Über weite Strecken sieht das dann aus wie ein Werbefilm für den Wohlfühl-Freizeitpark-Deutschland der Merkel-Ära. Das Leben an einem Tag zu filmen, ist keine neue Idee. Walther Ruttmann hat sie 1927 exemplarisch mit "Berlin - Die Sinfonie der Großstadt" in Szene gesetzt. Da wird tatsächlich Einblick in diverse Lebenswelten gegeben und der Zuschauer kann entdecken, dass sein eigenes Milieu und seine Lebensperspektive Part eines vielstimmigen Ganzen sind. Solche augenöffnenden Erfahrungen stellen sich beim vermeintlichen Deutschland-Selbstporträt niemals ein. Es gibt im Einzelnen anrührende Momente, aber die Schicksale huschen verschnipselt vorüber, die Menschen bleiben anonym, die Motive vorhersehbar: vom Geburtstag des Lieblingshundes bis zur stolzen Präsentation des neuen Autos ein Panorama aufgebügelter Banalitäten und Seifenblasen-Emotionen.

Deutschland. Dein Selbstporträt , D 2016 - Regie: Sönke Wortmann. Schnitt: Ueli Christen. Warner, 99 Minuten.

© SZ vom 18.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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