Kino:Eine Frau sieht rot

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Diane Kruger gewann 2017 eine Goldene Palme in Cannes. Für ihre Rolle in dem NSU-Drama „Aus dem Nichts“ des Regisseurs Fatih Akin erhielt sie die Auszeichnung als beste Schauspielerin. (Foto: Matthias Nareyek/Getty)

Von der Musterschülerin zum Bad Girl. Diane Kruger verwandelt sich - endlich. 2017 gewann sie eine goldene Palme in Cannes.

Von Tobias Kniebe

Dieser Moment, wenn ein neues Kapitel im Leben beginnt - für Diane Kruger kam er in diesem Jahr beim Filmfestival von Cannes. Die Abschlusszeremonie des Wettbewerbs näherte sich dem Finale, Jurypräsident Pedro Almodóvar verkündete den Preis für die beste Hauptdarstellerin, Diane Kruger saß im Publikum, sehr elegant in Schwarz, und klammerte sich an die Hand ihres Regisseurs Fatih Akin. Als dann tatsächlich ihr Name fiel, schlug sie die Hände vors Gesicht, Akin dagegen ballte im Triumph die Faust. Später auf der Bühne nannte sie ihn ihren "Bruder", ohne den sie nicht hier stehen würde: "Er hat Stärken in mir entdeckt, von denen ich gar nicht wusste, dass ich sie habe."

Tatsächlich muss in diesem Moment, mit dieser Auszeichnung für ihre erste deutschsprachige Filmrolle in Akins Terrorismus- Thriller "Aus dem Nichts", ganz viel Ballast von Diane Kruger abgefallen sein. Das Image des Ex-Models zum Beispiel, geboren als Diane Heidkrüger 1976 in Niedersachsen, das immer nur für sein makelloses Aussehen gefeiert wurde, angefangen mit der Rolle der Helena in Wolfgang Petersens "Troja", ausgewählt aus 3000 Bewerberinnen als schönste Frau der Antike. Oder der Ruch der Streberin, die im Alter von fünfzehn Jahren nach Paris zog, um eine perfekte Französin zu werden, und später die amerikanische Staatsbürgerschaft annahm, um noch perfekter in Hollywood zu funktionieren. Gerade dieser Ehrgeiz wirkte verkrampft, übereifrig und angstgetrieben.

Vielleicht war das bisher Diane Krugers Dilemma: Selbst wenn sie düstere und herausfordernde Rollen annahm, wie die Mutter eines todkranken Kindes in "Inhale", wirkte sie wie die brave Bürgertochter mit dem Plan, mehr innere Tiefe zu zeigen. Nicht einmal Quentin Tarantino (für "Inglourious Basterds" engagierte er sie als Bridget von Hammersmark, Filmdiva des Dritten Reichs) konnte sie von diesem Stigma befreien: Auch in dieser Nazi-Rolle war sie eigentlich eine Spionin für die Alliierten - also doch wieder eine Musterschülerin. Und die bewundert man zwar, wenn sie wieder einmal alles richtig machen. Aber wirklich lieben? Eher nicht.

Schon beim Lesen des Drehbuchs spürte sie eine "Scheißangst", ob sie der Rolle gerecht werde

Es musste dann schon ein Hamburger Kiezkind wie Fatih Akin kommen, um Diane Kruger endlich mal eine wahre Rebellin auf den Leib zu schreiben. Klar, auch in der Rolle der Katja Sekerci in "Aus dem Nichts" sieht sie umwerfend aus, und natürlich spielt sie eine Hamburger Bürgertochter. Aber eben eine wilde. Sie trägt schwarzes Leder und fühlt sich in St. Pauli zu Hause. Vor allem aber hat sie ihren adlernasig-vollbärtigen Haschdealer geheiratet, was ihre Mutter ihr nie verziehen hat. Gespielt wird er vom Deutschtürken Numan Acar, der sonst meist für Terroristenrollen gebucht wird, sehr prominent etwa in der vierten Staffel von "Homeland".

Diane Kruger hat gesagt, dass sie schon beim Lesen des Drehbuchs eine "Scheißangst" gespürt habe, ob sie der Rolle gerecht werde. Denn die Terroristen sind diesmal die anderen - ein Nazipärchen, das entfernt an die Täter des "Nationalsozialistischen Untergrunds" erinnert, zündet eine Bombe im Türkenkiez, Katja Sekerci verliert ihren Mann, der jeder Kriminalität längst abgeschworen hat, und ihren kleinen Sohn. So wird der Film zunächst ein Trauerfilm. Wie Kruger sich verzweifelt in die Bettwäsche ihres Sohnes kuschelt, wie sie selbst ihre beste Freundin abweist und einen Selbstmord versucht - das geht so tief, dass die kühle Musterschülerin bald vergessen ist.

Endgültig begraben wird sie schließlich, als die Nazitäter in einem Skandalurteil freigesprochen werden, und der Film zum Rachethriller à la "Eine Frau sieht rot" mutiert. Katja stellt den Mördern ihrer Familie nach und wird dabei selbst zur Bombenbauerin. Dramaturgisch mag das eine krude Wendung sein, für Diane Kruger selbst aber ist es genial - ihr ewiges Good-Girl-Image wird im Finale gleich mit weggesprengt. Und so wird sie im Frühjahr auch bei den Oscars präsent sein, falls dem Film die Nominierung in der Fremdsprachen- Kategorie gelingt. Aber ganz egal, wie das ausgeht - "Aus dem Nichts" ist vor allem der Triumph einer Zusammenarbeit. Man spürt bis zum Schluss, wie sehr Diane Kruger ihrem Regisseur Fatih Akin vertraut, und wie bewusst sie ihn als Führer in den Untergrund von Hass und Rache gewählt hat. Akin wiederum prophezeite ihr schon beim Dreh, dass ihr Film beim Festival von Cannes für Furore sorgen würde - und nahm seinem zweifelnden Star die Wette ab, sich im Falle des Erfolgs tätowieren zu lassen. So geht Diane Kruger jetzt nicht nur wie befreit durchs Leben. Sie trägt auch, wenn die Geschichte stimmt, einen in Hamburg gestochenen Anker am Körper.

© SZ vom 27.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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