Kino:Die Hexe im Spinnwebwald

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Simon Verhoeven wagt sich nach seinen Komödienerfolgen mit "Männerherzen" in eine Nische des Genrekinos. Im Horrorthriller "Unfriend" spielt er mit den finsteren Seiten des Internets. Dabei gelingt ihm ein Film von internationalem Look

interview Von Susanne Hermanski

Mit seinen "Männerherzen"-Filmen hat Simon Verhoeven erfolgreich der Deutschen Lieblingsgenre bedient: die Komödie. Jetzt wagt er sich in eine Nische: an einen Horrorthriller, der im Uni-Milieu spielt (Start: 7. Januar). Die internationale Produktion hat der Münchner gemeinsam mit den Produzenten Wiedemann & Berg ("Das Leben der Anderen") auf die Beine gestellt. Im Zentrum der Story steht Laura, eine Studentin, die jede Menge Spaß an ihrer College-Zeit hat und diesen auch gern mit ihren 800 Freunden auf Facebook teilt. Doch als sie eines Tages die Freundschaftsanfrage von Marina, einer Außenseiterin im Gothic-Outfit annimmt, grassiert in ihrer Clique plötzlich der Tod. Die Geschichte hat einige effektvolle Überraschungen zu bieten. Am erstaunlichsten aber ist der Look des Thrillers, den neben der ausgezeichneten Kameraarbeit von Jo Heim auch Animationen und Zeichnungen prägen, die als eine Art düsterer Film im Film auftauchen.

SZ: Leiden Sie selbst an einer Phobie?

Simon Verhoeven: Eine klassische. Ich fahre nicht gerne in Fahrstühlen. Ich gehe lieber mal acht Stockwerke zu Fuß.

Hilft es, wenn jemand mit Ihnen fährt?

Der Aufzug könnte ja trotzdem stecken bleiben. Ich saß in New York einmal mit einer chinesischen Großfamilie in einem ganz alten, engen Fahrstuhl fest. Zwischen Erdgeschoss und Keller, an einem Freitagabend, und ich dachte schon: Was, wenn uns jetzt bis Montagfrüh niemand befreit.

Und dann?

Kam nach einer gefühlten Ewigkeit von drei Stunden doch der Notdienst. Aber ich glaube, was für mich eher typisch ist: Ich kann mich heute noch wie ein Kind gruseln.

Aber nicht so stark wie andere Leute, die vor Angst nie in einen Horrorfilm gehen?

Die gibt es leider! Deshalb bleibt Horror wohl immer so eine Nische für Spezialisten.

Wollen Sie mit "Unfriend" denn junge Leute erschrecken, die zu arglos mit den Gefahren der Social Networks umgehen?

Nein, der Film soll nicht dieses deutsche, oberlehrerhafte oder sozialkritische "Achtung-Achtung!" verbreiten. Aber jeder Horrorfilm und jedes Märchen haben eine Moral, und die hat "Unfriend" auch.

Welche Moral ist das?

Das Internet ist heutzutage sicher ein wenig wie der dunkle Wald damals. "Geh' nicht zu tief hinein!"

Glauben Sie, dass die Botschaft ankommt?

Wir testen so einen Film ja auch und sehen schon: Bei den 16- bis 25-Jährigen kommt er am aller intensivsten an, aber auch die älteren gehen noch sehr gut mit. Die ganz jungen Leute nehmen das durchaus ernst.

Ihr Film sieht sehr amerikanisch aus, obwohl sie mit Deutscher Crew produziert haben. Wie ging das denn?

Wir haben hier ausgezeichnete Leute, die das durchaus können. Speziell im Genre Horror gibt es eigentlich eine tolle Tradition in Deutschland, schon seit Stummfilmzeiten - sie liegt nur die meiste Zeit brach. Dabei haben wir tolle Kameramänner, Sounddesigner und Künstler für das Artwork hier. Man muss ihnen nur den Auftrag geben.

Außer Komödien gelten Genre-Filme in Deutschland als Kassengift. Gehen Sie damit ein großes Risiko ein, sich oder wenigstens Ihren Marktwert zu ruinieren?

Das ist richtig, aber die Gefahr ist schon gebannt. "Unfriend" haben wir bereits mehr oder weniger in die ganze Welt verkauft.

Ist der Film für Sie als Sprungbrett gedacht? Endlich raus aus Deutschland?

Nein, so strategisch bin ich gar nicht. Ich saß eines Tages vor Facebook und habe eine Nachricht vom Account eines Freundes bekommen, der Wochen zuvor gestorben war. Da habe ich mich sehr gegruselt und mir gedacht: "Tote, die über Facebook kommunizieren", das ist ein Film. Der Stoff ist international, das war mir schnell klar. Was soll ich eine Facebook-Horror-Geschichte an der Uni in Heidelberg spielen lassen? Wenn der gut läuft, wird bestenfalls ein amerikanisches Remake daraus gemacht.

Und das wäre schade um die Ressourcen?

So wie ich Film sehe, schon. Ich gebe mich da keinen Illusionen hin: In Deutschland wird er, wenn es viel ist, ein paar hunderttausend Zuschauer erreichen. Ich bin stolz darauf, dass er weltweit betrachtet wird, als wäre er in Amerika gemacht. Das liegt natürlich auch an unserer Hauptdarstellerin Alycia Debnam Carey, die der Knaller ist.

Würden Sie gern in Hollywood drehen?

Es gab bereits Angebote, ich habe dort ja studiert. Aber ich schreibe auf Deutsch, meine Sensibilität ist eine deutsche, ich bin Deutscher. Zudem bin ich kein "Ausführer", wie manche anderen Regisseure, die gern die Drehbücher fremder Autoren umsetzen. Aber wenn ich in den USA etwas eigenes machen kann: Dann liebend gern.

Woran arbeiten Sie denn gerade?

Ich bereite eine Gesellschaftssatire zur Flüchtlingskrise vor.

Da wagen Sie sich auf vermintes Terrain. Eine Satire über ein Thema, bei dem die Leute schon streiten, ob man politisch korrekt auch nur von "Krise" sprechen darf . . .

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Ja, das Thema hat auch für Filmemacher seine Unschuld verloren. Seit der Zeit, in der ich angefangen habe, daran zu arbeiten, im Mai 2015, ist das auf alle Fälle so.

Was war Ihr Ausgangspunkt?

Die Frage: Was ist deutsch? Und eine Lehrerin, die einen jungen Flüchtling als ihr "Projekt" sieht. Das fand ich grundsätzlich sehr lustig. Jetzt ist es sehr brisant geworden.

Haben Sie nun Angst, dabei etwas falsch zu machen?

Nein, aber ich glaube, man kann dabei eigentlich nur jeden beleidigen. Eine politisch korrekte Satire - das schließt sich aus. Aber es bieten sich nun auch herrliche Chancen zum Lachen. Über die eigenen Abgründe, die eigene Meinung, die persönliche Verwirrung - und die allgemeine.

Wie nah bewegen Sie sich bei dem Stoff an der Realität?

Ich bin zur Vorbereitung viel in Flüchtlingsunterkünfte gegangen - hier in München, dort auch in die SchlaU-Schule, aber auch in Niederbayern und in Leipzig. Und ich kann nur sagen: Je länger man zu dem Themenkomplex recherchiert, desto widersprüchlicher und weniger politisch korrekt wird das Ganze. Nicht alles passt in die idealisierte, gut gemeinte Welt der Vorstellung einer Willkommenskultur.

Was passt nicht zum idealisierten Bild?

Nehmen wir mal das Thema Homophobie. "Das darf man doch nicht pauschalisieren!", ist mit Sicherheit die Reaktion, die ich ernten werde, wenn ich es in dieser Komödie aufgreife. Andererseits haben 90 Prozent aller Flüchtlinge in Unterkünften, mit denen ich darüber geredet habe, nie einen Hehl daraus gemacht, dass Sie mit Homosexuellen ein Problem haben. Das heißt natürlich nicht, dass sie es nach einiger Eingewöhnungszeit bei uns nicht überwinden oder verändern könnten. Aber das heißt eben auch nicht, dass sich hier keine Spannungen ergeben und dass sich aus dem Ganzen aktuell keine lustige Komödienszene ableiten ließe.

Ein gespielter Schwulenwitz also?

Eher ein Abbild dessen, was wirklich passiert. Ich rede oft mit einem jungen Flüchtling aus Afghanistan. Der war neulich zum ersten Mal hier beim Friseur. Dort sollte ihm eine Frau die Haare schneiden. Das wollte er nicht, deshalb hat er das ganz höflich abgelehnt. Die Frau holte daraufhin einen Kollegen. Der aber war ganz offensichtlich schwul; da hat der junge Afghane erst den richtigen Schock bekommen. Filmisch hat das ein herrliches Potenzial. Flüchtlinge lachen übrigens selbst über solche Szenen.

Was fällt Ihnen ein, wenn Sie sich einen typischen München-Horrorfilm ausdenken sollen?

Man könnte Helmut Dietls Sicht auf München und die Bussi-Bussi-Gesellschaft ohne weiteres in einen Horrorfilm ziehen. Die Protagonisten müssten die Mitglieder einer schwer degenerierten Luxus-Familie sein, die Menschen im Keller ihrer Luxusvilla in Bogenhausen verschwinden lässt. Und wenn der Vater dann noch eine Schönheitschirurg ist, der sich in diesem Keller etwas Nettes bastelt, wäre der Stoff auch schon wieder international verwertbar.

© SZ vom 05.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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