Kino:Das beste Auge

Lesezeit: 2 min

Auch als Regisseur ist Thomas Mauch (l.) erfahren . "Strafprotokoll aller und jeder Untertanen des allhiesigen Reichsgotteshauses Roggenburg" ist ein Film über einen Bauernaufstand 1525. (Foto: DPA-SZ)

Der Kameramann Thomas Mauch wird 80 Jahre alt. Er ist einer der wichtigsten Vertreter seiner Zunft, drehte mit Alexander Kluge und Edgar Reitz. Und er reiste mit Werner Herzog und Klaus Kinski in den Dschungel, für "Aguirre, der Zorn Gottes" und "Fitzcarraldo".

Von Fritz Göttler

"Der Mann an der Kamera", schreibt Alexander Kluge in einer seiner frohgemut luziden "Geschichten vom Kino" im gleichnamigen Band, "der Mann an der Kamera (es gibt kein besseres Auge in der Welt als seines) ,ahnt', 18 Sekunden bevor die Darstellerin einen nicht inszenierten, tatsächlichen ,Zusammenbruch' erlebt ..., dass sich etwas an der Aufnahmesituation verändert hat, und wechselt mit der Optik auf Großaufnahme."

In solcher Dialektik von Beobachtung und Ahnung und Reaktion besteht die Arbeit des Kinos, und man bekommt mit Kluges Passage eine klare Vorstellung davon, welchen Anteil die Kamera und der Kameramann daran hat. Mit Alexander Kluge hat der Kameramann Thomas Mauch, geboren am 4. April 1937 in Heidenheim an der Brenz, von Anfang an zusammengearbeitet, von "Abschied von gestern", 1965, bis in die Siebziger und Achtziger hinein. Auch mit Edgar Reitz, mit dem er frühe Kurzfilme drehte und 2002 "Heimat 3" machte, und mit Werner Herzog. Die Zusammenarbeit mit ihm begann bei den frühen Dokumentarfilmen und kulminierte bei den Dschungel-Kinskiaden "Aguirre" und "Fitzcarraldo", bei denen Unvorhersehbarkeit zum wahnwitzigen Prinzip erklärt war: "Mit dem einen Auge guckte ich durch die Kamera, mit dem anderen beobachtete ich die Wirklichkeit...". Und die Wirklichkeit war vor allem der unberechenbare Klaus Kinski.

Man hat das sogenannte Junge deutsche Kino der Sechziger immer als Periode der Manifeste, politischen Konzepte und Programme in Erinnerung. Aber wenn man dann Filme dieser Zeit wieder sieht, merkt man, wie es darin auch um die eigentliche Materie des Kinos geht, den Umgang mit Bildern und Tönen und wie diese einen Zusammenhang herstellen zur Realität, der sie entnommen sind. Thomas Mauch hat diesen Zusammenhang immer reflektiert in "seinen" Filmen - egal ob er Kamera machte, am Drehbuch mitarbeitete oder selber Regie führte. Es gibt einen dokumentarischen Grundton in diesen Filmen, der stark auf das Melodramatische reagiert, das sie entwickeln - in Werner Schroeters berührenden "Palermo oder Wolfsburg" und "Neapolitanische Geschwister" Ende der Siebziger, oder Helma Sanders-Brahms' "Heinrich" und "Die Berührte". Immer wieder hat Mauch mit Frauen gearbeitet, in den Sechzigern bereits mit Ula Stöckl in Kurzfilmen an der Hochschule für Gestaltung Ulm - "Haben Sie Abitur?" - und an ihrem Spiel-Film "Neun Leben hat die Katze". Im Abitur-Film erlebt man Abendschüler in der Bundesrepublik, und einmal treiben sie ihren Lehrer fast in die Verzweiflung, als er von ihnen wissen will, was die Motivation fürs Töten bei Robespierre ist, im Gegensatz zu Marat und Danton - Sadismus, Lust - und sie nicht aufs richtige Wort kommen, das natürlich Ideologie ist. Eine Szene, die so unerbittlich komisch ist wie in "Abschied von gestern" das Aufnahmegespräch zwischen Alexandra Kluge und Alfred Edel als Professor zum Thema "Volkssouveränität".

Am Dienstag wird Thomas Mauch achtzig, das Münchner Filmmuseum widmet ihm das kommende Wochenende, zeigt Filme von ihm und von Kluge, Sanders-Brahms und Schroeter. Am Donnerstag gibt es ein Gespräch zwischen Alexander Kluge und ihm. Es gibt kein besseres Auge in der Welt als seines.

© SZ vom 04.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: