Kino:Adrenalin als Familiendroge

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Raffiniertes Actionkino aus Italien: "Giulias großes Rennen" erzählt von der Liebe eines Mädchens zum Motorsport.

Von Anke Sterneborg

Während sich "Wonder Woman" gerade anschickt, das Superheldenkino aus weiblicher Perspektive zu revolutionieren, erobert parallel eine junge Italienerin im Kino noch eine andere Männerdomäne für sich. Hinter dem Steuer eines Porsche-Boliden kämpft die siebzehnjährige Giulia um den Sieg. Doch während sie aufs Ziel zurast, stirbt ihr Vater und Trainer am Rand der Rennstrecke an einem Herzinfarkt, wodurch der Sport eine existenzielle Dringlichkeit für sie bekommt.

Für die Teilnahme an dem Rennen hat die Familie ihr Anwesen in der Emilia Romagna verpfändet. Wenn Giulia das Rennen nicht gewinnt, verlieren sie und ihr kleiner Bruder ihr Zuhause und ihre Zukunft. Zusätzliche Unruhe stiftet Giulias Bruder Lovis, ein ehemals begnadeter Rennfahrer und Junkie, der als erstgeborener Erbansprüche anmeldet. Aus eigenem Interesse übernimmt der abgehalfterte Champion, der den Spitznamen Ballerino seiner tänzerischen Fahrtechnik verdankt, das Coaching seiner Schwester. Allerdings birgt seine verkrachte Existenz das Potenzial für Triumph wie Niederlage, für Rettung wie Untergang. So wie die unerbittlichen Schleifer in Boxfilmen trainiert er Giulias Muskelkraft und Ausdauer, um dann mit unorthodoxen Mitteln ihre Risikobereitschaft anzustacheln. Im Dorf pöbelt er ein paar Motorrad-Rocker an und zwingt Giulia zu einer irren Flucht durch die engen Gassen des nächtlichen Imola.

Basierend auf einer wahren Geschichte macht Matteo Rovere das Autorennen zur Lebensmetapher. "Wenn du alles unter Kontrolle hast, bist du nicht schnell genug", wird im Vorspann der amerikanische Rennfahrer Mario Andretti zitiert. Rovere verleiht diesem kleinen, vibrierenden Genrefilm eine unbändige Kraft. Dazu geben drei Generationen von Schauspielern alles. Die Sängerin und Schauspielerin Matilda De Angelis lässt die punkige Rennfahrerin mit blauen Haaren zwischen familiärer Verantwortung und sportlichem Risiko funkeln. Stefano Accorsi macht seinen Lovis mit strähnig langen Haaren und ausgemergelter Physis zur zerrissenen Figur. Als ehemaliger Star, der sich noch ein letztes, womöglich fatales Mal beweisen muss, gehört er zum klassischen Personal des Sportlerfilms. Und Paolo Graziosi erfüllt den knorrigen Mechaniker-Mentor Tonino mit Herzenswärme und Altersweisheit und bietet im Kontrast zum volatilen Temperament des Bruders großväterliche Erdung.

Erhöht wird der Druck durch das verlockende und gefährliche Angebot, bei einem illegalen Todesrennen auf ungesicherten Strecken wahlweise die Schulden, oder das Leben zu verlieren. Einen kurzen Moment lang flackert da der anarchische Adrenalin-Kick der "Fast and Furious"-Filme auf. Vor allem aber markiert "Giulas großes Rennen" ein vitales Revival der lang vernachlässigten Tradition des italienischen Genrefilms.

Veloce com il vento , Italien 2016 - Regie Matteo Rovere. Buch Matteo Rovere, Filippo Gravino, Francesca Manieri. Kamera: Michele D'Attanasio. Mit: Matilda De Angelis, Stefano Accorsi, Paolo Graziosi, Guiseppe Galiani. Missing Films, 123 Minuten.

© SZ vom 13.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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