Kelly Clarkson:"Pop braucht keine Botschaft"

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Kelly Clarkson wippt gern zu "Macarena". (Foto: Sony BMG)

Harter Konkurrenzdruck, sinkende Verkaufserlöse: Die meisten Musiker schimpfen über das Pop-Geschäft. Kelly Clarkson aber sagt: "I love it!" Ein Gespräch über die Sucht nach Hits, Katy Perry und den "Macarena-Song".

Interview von Erik Brandt-Höge

Sie hat die erste Staffel der Castingshow American Idol gewonnen, seitdem mehrere Grammys und ein Millionenpublikum. Kein Wunder, dass Kelly Clarkson den harten Wettbewerb in der Popmusik nicht fürchtet - sondern schätzt. Sie sagt: Erfolgsdruck unter Musikern führt zu mehr Qualität. Ob der Song Substanz hat? Egal. Wichtig sei der Spaß, den es macht, ihn zu hören. Ein Gespräch mit der 32-Jährigen über ihr neues Album "Piece By Piece", Katy Perry und über die Sucht nach Hits.

SZ.de: Mrs. Clarkson, wir waren etwas besorgt vor diesem Interview. Es heißt, Sie sprechen nur noch über Babys.

Kelly Clarkson: (lacht) Das ist und bleibt wohl erstmal mein Lieblingsthema. Ich bin eine dieser Mütter, die unbedingt allen von ihren Babys erzählen müssen, ständig Fotos herumzeigen und Videos posten.

Ist es nicht seltsam, der ganzen Welt Fotos zu zeigen und Journalisten Ihr Privatleben zu erklären?

Ach, ich teile gerne (lacht). Wenn ich Fotos und Videos von meiner Tochter veröffentliche, will ich ja nur zeigen, wie cool sie ist. Das gilt auch für die Babygeschichten, die ich immer gerne erzähle.

Uns interessieren vor allem Musikgeschichten. Ihre neue Single "Heartbeat Song" ist ein hübsches Radio-Lied, bei dem die Melodie mehr im Vordergrund steht als der Text. Braucht Popmusik überhaupt eine Message?

Nein, Pop braucht an sich keine Botschaft. Und guter Pop kann vieles sein, eigentlich alles: ein Song zum Tanzen, Feiern, Spaßhaben genauso wie einer, in dem es um die Missstände einer Gesellschaft geht.

Und welche Songs bevorzugen Sie?

Mich hat es immer zu starken Lyrics hingezogen. Ich mag es, wenn ein Song etwas aussagen kann, ein klares Statement hat. Andererseits stehe ich auch voll auf diesen "Macarena"-Song (lacht). Viel Substanz hat der natürlich nicht, aber wenn wir mal ehrlich sind, wippen wir doch alle ein bisschen dazu mit.

Finden Sie im aktuellen amerikanischen Pop viel Substanz? Wie viel können Sie den Songs von Rihanna, Katy Perry und Co. abgewinnen?

Katy Perry hat schon ein paar gute Songs. Ich meine nicht die Singles, eher die Albumtracks wie "Circle the Drain". Aber den Rest finde ich auch nicht schlecht, auch darin stecken ein paar Botschaften (lacht). Katy verbreitet sie nur auf ihre eigene, oft humorvolle Art und Weise. Sie ist eine sehr clevere Songschreiberin.

Was bei Perrys Songs genauso auffällt wie bei Ihren, ist der gänzliche Verzicht auf Ecken und Kanten. Ihre Musik ist durchgängig glatt produziert. Jede Sekunde Ihres neuen Albums "Piece By Piece" könnte im Radio landen. Steckt nur der Wunsch nach kommerziellem Erfolg dahinter? Oder gar der nach Pop-Perfektion?

Von beidem ein bisschen. Es ist ja so: Wir leben in einer Gesellschaft, in der es wahnsinnig schwer geworden ist, die Aufmerksamkeit der Leute zu gewinnen. Sie haben ihre Augen und Ohren überall, und sie kriegen auch überall etwas zu sehen und zu hören. Ihre Aufmerksamkeitsspanne wird dadurch immer kleiner, und ihre Sehnsucht nach schnellem Glück immer größer. Diese Entwicklung führt dazu, dass Popmusik mehr und mehr zu einem Wettbewerb wird. Den hört man natürlich auch auf meinem Album.

Gefällt Ihnen diese Entwicklung?

Natürlich! Ich weiß, dass vielen meiner Kollegen überhaupt nicht gefällt, was in der Musikindustrie gerade passiert. Ich persönlich werde mich aber nicht beklagen. Im Gegenteil: I love it!

Was genau mögen Sie am Wettbewerb im Pop?

Dass er die Musik allgemein besser macht. Er zwingt Musiker dazu, sich voll und ganz auf jeden einzelnen ihrer Songs zu konzentrieren. Niemand kann sich mehr erlauben, nur vier gute Songs zu machen, die später als Singles ausgekoppelt werden, und den Rest eines Album einfach nur irgendwie aufzufüllen. Jeder Song muss heute ein potentieller Hit sein. Weil die Leute nur noch Hits wollen. Das liegt natürlich vor allem am Internet, an iTunes und Co., die das Musikgeschäft für immer verändert haben - und zwar zum Positiven.

Wer heute also noch glaubt, Musik müsse vor allem Spaß machen und dürfe nicht zum Konkurrenzkampf werden, ist aus der Zeit gefallen?

Musik muss immer Spaß machen, keine Frage, und ich hoffe, das wird auch immer so sein. Genauso wünsche ich mir aber, dass es diesen Wettbewerb weiterhin geben wird. Dass Künstler, die wirklich etwas wollen, sich auch in Zukunft anstrengen müssen. Das führt letztlich einfach zu mehr Qualität. Ich mag ehrlich gesagt auch den Druck, Gutes produzieren zu müssen.

Ihr besonders ausgeprägter Ehrgeiz ist bekannt. Wohin soll der Sie noch führen?

Irgendwann will ich am Broadway singen. Und ein Country-Album aufnehmen. Und ein Big-Band-Album. Und, und, und (lacht). Ich will noch so viel! Und ich will mich dabei nicht limitieren lassen. Ich meine: Wir haben nur ein Leben, und das sollten wir nutzen, um alles zu tun, worauf wir wirklich Lust haben.

Geht es Ihnen auch darum, die Aufmerksamkeit der breiten Masse nicht zu verlieren?

Klar, ich mag das Gefühl, wenn sich die Leute für meine Musik interessieren. Es ist mir aber egal, ob ich in einem kleinen Club auftrete, in einer Arena spiele, die Nationalhymne bei irgendeinem Spiel oder gar für den Präsidenten singe. Ich finde es schön, wenn sich jemand zu meiner Musik hingezogen fühlt, aber es ist nicht so, dass ich es mit meinen Songs so vielen Menschen wie möglich recht machen will. So ticke ich nicht.

Dabei handeln Ihre Songs fast immer von anderen: Sie wünschen Ihren Hörern Mut, Hoffnung, neue Liebe. Sie geben den Kummerkasten-Popstar, wenn Sie singen: "Tell me all your secrets, tell me all your fears, I won't push you away, I'll only pull you near." Wo bleiben Sie da? Was sind Ihre Ängste?

Die gibt es kaum noch. Meine letzte große Angst hatte ich während der Schwangerschaft - womit wir wieder beim Thema wären (lacht). Ich hatte Angst, dass irgendetwas schief gehen könnte, auch weil ich zwischenzeitlich sehr krank wurde. Ich glaube: Wer es einmal geschafft hat, eine solch große Angst auszuhalten, wie ich sie hatte, dem kann sobald nichts und niemand mehr etwas anhaben. Zumindest fühlt es sich so an.

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