"Kaddisch für einen Freund" im Kino:Hinter der Tür mit dem Stern

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Jüdisch-palästinensischer Friedensschluss in Kreuzberg: Der 84-jährige Alexander und der 14-jährige Ali lassen beim Wodkatrinken auf dem Balkon eines Neubaublocks den tief verwurzelten Hass ihrer Völker hinter sich. Leo Khasins "Kaddisch für einen Freund" sucht die Völkerverständigung im Privaten - ganz ohne hippiesken Friedensgruß.

Annett Scheffel

"Ach, eure Katastrophe, unsere Katastrophe", raunt der kauzige Alexander und winkt ab. Lieber schenkt er zwei Schnapsgläser bis zum Rand voll mit russischem Wodka und möchte mit seinem neugewonnenen Freund anstoßen. "Gleichheit ist die Seele jeder Freundschaft", zitiert er Aristoteles. Und dann stehen sie da auf dem Balkon eines Kreuzberger Neubaublocks - der 84-jährige russisch-jüdische Immigrant Alexander und der 14-jährige Palästinenser Ali, der mit seiner Familie aus Libanon geflüchtet ist - und prosten sich zu. "Auf uns."

Mit einer Mischung aus Humor und Rührseligkeit erzählt Khasin von zwei Feinden, die abseits des Schlachtfelds aufeinandertreffen und ihren anerzogenen Groll ablegen. (Foto: dpa)

Eine ebenso ungleiche wie unwahrscheinliche Freundschaft. Hinter sich lassen sie die Feindbilder in ihren Köpfen, die Vorurteile, den tief verwurzelten Hass. Ein Friedensschluss im Kleinen, der weniger mit dem Nahostkonflikt zu tun hat als mit zwei Menschen, die das Leben zusammengebracht hat.

Ali ist mit seinen Eltern und den beiden Schwestern gerade erst aus dem Asylheim in eine Wohnung am Mehringplatz gezogen, als er bemerkt, dass der Jude Alexander Zamskoy über ihnen wohnt. "Der hat den Stern an der Tür", berichtet er empört seinem Vater. Um bei den arabischen Freunden seines Cousins Anschluss zu finden, lässt er sich als Mutprobe darauf ein, in die Wohnung des "Feindes" einzubrechen, die die Jugendlichen dann verwüsten.

Als sie von Alexander erwischt werden, erkennt dieser nur Ali und zeigt den Jungen bei der Polizei an. Um einer möglichen Abschiebung zu entgehen, muss er sich bei seinem Nachbarn entschuldigen und ihm dabei helfen, die Wohnung zu renovieren. Eine Zwangssituation, die gleichzeitig Auftakt ist zu einem Kammerspiel mit gesellschaftlichem Anspruch. Denn schnell wird aus Hass vorsichtige Annäherung und aus Misstrauen Mitgefühl.

Festkrallen an alten Feindbildern

Der in Moskau geborene Regisseur Leo Khasin zeigt in seinem Debütspielfilm überzeugend, wie die beiden Protagonisten Ali und Alexander aus ihren gewohnten Rollen ausbrechen, während sich ihre Umgebung an alten Feindbildern festkrallt. Auch wenn ein deutscher Staatsanwalt von einer "besonderen Verpflichtung ihrem Volk gegenüber" redet, kann Alexander nur murrend und ironisch die Augen rollen.

Mit einer Mischung aus Humor und Rührseligkeit erzählt Khasin - ohne Zeigefinger, ohne hippiesken Friedensgruß. Einfach zwei Feinde, die abseits des Schlachtfelds aufeinandertreffen und ihren anerzogenen Groll ablegen. Eine Geschichte - wirkt sie auch ein wenig konstruiert -, von der sich der Zuschauer wünscht, sie würde so oder so ähnlich öfter geschehen.

Kaddisch für einen Freund, D 2011 - Regie und Buch: Leo Khasin. Kamera: Mathias Schöningh. Mit: Ryszard Ronczewski, Neil Belakhdar, Neil Malik Abdullah . Farbfilm, 94 Minuten.

© SZ vom 15.03.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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