Kabarett:Das wissen die Leute 

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An diesem Montag feiert Wolfgang Schaller seinen 75. Geburtstag. (Foto: Matthias Hiekel/dpa)

Müdigkeit und Humorallergie: Ein Besuch bei Wolfgang Schaller, dem Intendanten des Dresdner Kabaretts Herkuleskeule.

Von Cornelius Pollmer

Es ist ein schleichendes Humpeln, mit dem Wolfgang Schaller die letzten Meter geht, von der Tür bis zu diesem Tisch in einem Hinterzimmer der Dresdner Herkuleskeule. Sein Haar, das noch morgenknittrige Gesicht - alles an ihm wirkt schläfrig. Schaller setzt sich. Er sagt, dass er müde sei, "schwierige Nacht". Aber man werde sich schon irgendwie wachreden. Er sagt, "dann fragen Sie mal!", als wäre man ein Dorfpolizist und er, Schaller, der Zeuge eines leichten Auffahrunfalls. So viel also zum Zustand des deutschen Kabaretts? Moment. Man wird sich wachreden. Da kommt noch was.

Wolfgang Schaller begeht gerade ein Doppeljubiläum. 120 kommt heraus, addiert man die Jahre seines Lebens und jene, die er davon auf der Bühne verbracht hat. Schaller ist noch immer das, wofür er bekannt geworden ist: der Chefautor der Dresdner Herkuleskeule sowie deren Intendant. Was sich verändert hat, das sind die Umstände, die großen wie die kleinen. Verändert heißt: vergangen. Peter Ensikat, mit dem Schaller das Rad nicht neu erfand, aber über Jahrzehnte ein gutes Tandem bildete, ist tot. Dieter Hildebrandt, ein guter Freund Schallers, ist es auch. Und gestorben ist ja auch die DDR, dieser von Schaller hassgeliebte größte aller Umstände.

"Heute haben wir die ökonomische Zensur, und die kann ich nicht überlisten."

Als es sie noch gab, bohrten Hildebrandt und Polt ein Loch in die Mauer, und "in dem Augenblick, in dem ich mit Polt in den Alpen stand, begriff ich, wie pervers diese Mauer ist, mir der wir aufgewachsen sind". Er war da plötzlich im West-Grünen, mit diesen Menschen, die er aus dem Radio kannte und mit denen er deswegen, einseitig, "das Gefühl einer gemeinsamen Vergangenheit" verband. Und dann? Ging er wieder zurück, es war grau und der Zöllner unfreundlich, "und trotzdem hatte ich das Gefühl, wieder zu Hause zu sein".

Wolfgang Schaller gehörte 1989 nicht zu denen, die ein einheitliches Deutschland wünschten, er wünschte sich eine bessere DDR. Dieser Wunsch wirkt gar nicht so verwegen, wenn er versucht, sich mit den Umständen der Gegenwart vertraut zu machen. Nicht nur die Nacht war schwierig, die Welt ist es. Ukraine, Russland, der "Islamische Staat" - "und was nicht alles noch vor dieser Welt steht". Schaller sagt, die ideologische Zensur der DDR, die habe in gewissem Sinne noch Spaß gemacht. Es gab eine Zeit, da wurden Stücke von ihm in Dresden verboten, und gleichzeitig zitterten in Berlin Apparatschiks an Schaller vorbei, um ihm den Nationalpreis dritter Klasse zu verleihen. "Heute haben wir die ökonomische Zensur, und die kann ich nicht überlisten", sagt Wolfgang Schaller.

Neunzehn Menschen beschäftigt Schaller in der Herkuleskeule, von der Kasse bis zum Bistro, man sei da "sozialistisch organisiert". Als Intendant braucht er 85 Prozent Auslastung, sinkt sie darunter, muss Schaller Leute entlassen. "Dieser Spagat, sagen zu wollen, was einen politisch bewegt, und dem großen Vergnügungsbedürfnis der Menschen, der wird immer größer", sagt Schaller an diesem Tisch, in der Keule. Man erinnert ihn daran, dass er diesen Satz vor 15 Jahren schon einmal gesagt hat. Überrascht ihn nicht. Der Satz gelte noch immer. "Ich ertappe mich heute beim Schreiben manchmal dabei, dass ich nach einem lustigen fünften Satz suche, nur weil ich gerade vier ernste getextet habe. Darauf habe ich eigentlich keine Lust mehr, da kriege ich eine Humorallergie." Und dann hat er doch wieder Lust. Er erzählt vom neuen Programm und von den Diskussionen im Ensemble. Da heißt es nämlich auch: Lasst doch mal die Pointen, lasst doch mal die blöden Gags, da müssen jetzt eben alle mal drei ernste Seiten lang durch.

Wer als Kabarettist heute Erfolg haben möchte, nennt sich besser nicht Kabarettist und geht besser alleine auf Tour. Schaller hängt der Idee des Kollektivs an, grundsätzlich, aber so hat es doch auch Tradition im deutschen Kabarett, oder? Harald Schmidt definierte dieses einmal so: Vier alte Männer haben den ganzen Abend lang recht. In diesem Punkt erzählt die Müdigkeit Schallers nicht nur etwas über sein Alter, sondern auch über die Gegenwart. Er ist nicht mehr von dem Gefühl getragen, grundsätzlich im Recht zu sein. Eher von der vorsichtigen Einsicht, dass dies faktisch unmöglich und als Haltung zumindest unbrauchbar geworden ist.

Natürlich ist es schwer, mit 75 noch neue Wut und neuen Mut zu finden. "Ich merke beim Schreiben: War doch alles schon mal, den Text hast du doch schon mal geschrieben, und zwar nicht schlecht", sagt Schaller. Er empfinde sich trotzdem noch immer als Werdender. Das ist gut im Sinne des Seins, weil es Entwicklung bedeutet. Es muss nicht gut sein im Sinne des Ergebnisses. Schaller fragt: "Einmischen muss man sich, ja, aber was ist denn noch möglich an Veränderung? Da ist die Resignation bei mir eigentlich größer als in der DDR. In der gab es Hoffnung, und die war ein Antrieb." Damals waren Schaller und das Publikum vereint im So-kann-es-nicht-weitergehen. Heute genügt ein Blick vor die Keulentür, um zu wissen, dass die Verhältnisse komplizierter sind. Als Wolfgang Schaller eine Gegendemo zu Pegida besuchte, dachte er, ein Teil von ihm gehöre auf die andere Seite. Es hatte ihn doch immer aufgeregt, dass so wenig Leute auf die Straße gehen! Und nun waren da welche. Schön, eigentlich. Aber viele von denen suchten sich ausgerechnet die Schwächsten der Gesellschaft als Gegner aus. Ein Hirnriss, natürlich. Schaller hat über Pegida geschrieben. Von den einen bekam er Gesinnungsapplaus in der Keule, andere verließen den Saal. "Eigentlich müssten wir darüber froh sein!", sagt Schaller, fast befreit von seiner Müdigkeit.

Andererseits ist es so, dass "die Worte im Mund veralten", so schnell ist die Zeit geworden. Und andererseits ist es auch so, dass man mit einer stundenlangen Analyse des Freihandelsabkommens kaum 85 Prozent Auslastung erreicht.

Wo nun liegt die Hoffnung? Wolfgang Schaller sagt, er wolle irgendwann einmal abtreten in dem Wissen, ein paar Leuten wichtig gewesen zu sein.

Er macht weiter, auch wenn mal der Glaube fehlt, dass es noch einmal besser werden könnte

Bis es so weit ist, macht Schaller weiter, weil Menschen wie er irgendwie weitermachen müssen, solange sie können und dürfen. Wollen? Nicht unbedingt eine Kategorie. Schaller macht weiter, auch wenn die Themen sich wiederholen, die Texte, die Pointen. Schaller macht weiter, auch wenn der Glaube einmal fehlt, dass es noch einmal besser werden könnte, im Großen oder Kleinen.

Ein Vorrecht des Alters besteht darin, aus der Enttäuschung über die Gegenwart eine Zufriedenheit mit dem Gestern abzuleiten. Schaller hat, so gesehen, eine beachtliche Schäfchenherde längst ins Trockene gebracht. Und wenn er jetzt weitermacht, dann spricht es doch für ihn, wenn er versucht, seine Enttäuschung so gut es geht zu verbergen. Schaller sagt: "Ich habe doch auch kein Recht, mich zwei Stunden auf die Bühne zu stellen und zu erzählen, dass die Welt scheiße ist." Kurze Pause. "Das wissen die Leute doch selber."

Und selbst in der Enttäuschung findet sich zuweilen etwas Heiterkeit. Vor Jahren sagte er in einem Programm, die Politik müsse aufpassen. Sie müsse aufpassen, weil die höchsten Vertrauenswerte inzwischen der ADAC genieße und, wer weiß, vielleicht komme das Volk ja irgendwann auf die Idee, den ADAC zu wählen anstelle der Parteien. Wolfgang Schaller sitzt jetzt sehr wach an diesem Tisch in der Keule, er lächelt fröhlich, dann sagt er: "Selbst die Pointe haben sie mir kaputt gemacht."

© SZ vom 20.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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