Jugendtheater:Spielerisch an der Realität

Kitty Rampenlichter

"Wir zogen uns alle so dick an, als müssten wir in einem Eisschrank übernachten". Eine Szene aus dem Stück "Liebe Kitty" nach Anne Franks Tagebuch.

(Foto: Sebastian Korp)

Standortbestimmung für den künstlerischen Nachwuchs: Das Tanz- und Theaterfestival "Rampenlichter" im Schwere Reiter zeigt 17 Stücke mit Kindern und Jugendlichen aus Deutschland, Österreich und Spanien

Von Barbara Hordych

Das Szenario, das vor den Schülern durchgespielt wird, ist furchterregend: "Wenn Du eine schlechte Note schreibst, wirst Du in Physik durchfallen!"/ "Dann wirst Du keinen Abschluss machen!"/"Du wirst keinen Job bekommen!"/"Du wirst auf der Straße leben!"/"Du wirst ein Versager sein. . ." Die sieben Jungen und fünf Mädchen, die ihren auf einem Stuhl sitzenden Mitschüler umkreisen, artikulieren ihre Sätze gestochen scharf, mit spanischem Akzent. Die 16-jährigen Darsteller gehören einer Theatergruppe am Gymnasium Miramar in Barcelona an, die sich ein Jahr hindurch spielerisch in der deutschen Sprache erprobte, indem sie ihre eigene Interpretation von Franz Wedekinds "Frühlings Erwachen" erarbeitete. Darin thematisieren sie neben Zukunftsängsten auch ganz normale Pubertätsnöte. "Letztens hatte ich eine Erektion - und dann habe ich mir einen runtergeholt", vertraut ein Freund dem anderen "ein extrem peinliches Erlebnis" an. "Aber das ist doch klasse", antwortet der spontan. Gesteht dann aber seinerseits die Befürchtung, dass "mein Pimmel zu klein" sein könnte.

Der Wortwechsel zwischen den beiden Jungs erhält spontanen Szenenapplaus im voll besetzten Schwere Reiter. Die Inszenierung "Was wir wollen", die auch schon im Goethe-Institut in Barcelona gezeigt wurde, trifft offensichtlich einen Nerv beim Publikum des "Rampenlichter"-Festivals. Das besteht zum größten Teil aus Jugendlichen, die dort selbst aufgetreten sind oder noch auftreten werden. Bis zur Abschlussfeier am 29. Juli sind insgesamt 17 Stücke in 35 Abend- und Schulklassenaufführungen zu sehen, ergänzt von 70 Workshops, die von Künstlern, aber auch von den jungen Mitwirkenden selbst geleitet werden. Die Nachwuchstänzer und -Schauspieler im Alter von neun bis 27 Jahren kommen aus München, ganz Deutschland, Österreich und Spanien. Erwartet werden wieder rund 5 000 Besucher an elf Tagen - damit gehört "Rampenlichter" bundesweit zu den größten Festivals im jugendkulturellen Bereich.

"Alle auftretenden Gruppen nehmen mindestens vier Tage am Festival teil, das gehörte von Anfang an zu unserem Konzept", erklärt Alexander Wenzlik vom Verein Spielen in der Stadt, der gemeinsam mit Elisabeth Hagl das Festival leitet. 300 junge Darsteller werden während ihres Aufenthalts in München ihre Stücke präsentieren, die Vorstellungen anderer Gruppen besuchen und an diversen Workshops teilnehmen. "Wir wollen einen wirklichen Austausch, und dazu gehört eben, dass die Gruppen nicht nur anreisen, auftreten und wieder abreisen".

Die jungen Festivalbesucher betrachten die Darbietungen der jeweils anderen Gruppen mit durchaus kritischem Blick. So fanden der zwölf-jährige Leo und sein Freund Kevin zwar "fantastisch", wie die "Quartier Dance Company" aus Bremen am Eröffnungsabend mit ihrem Stück "Jump'N'Run" eine wilde Partynacht auf der Bühne des Schwere Reiter zelebrierte. Nur das russische Lied, das zwischendurch nach einem fiktiven Stromausfall bei Kerzenschein gesungen wurde, "war etwas kitschig", sagt Kevin. Zumal es vom Inhalt her eigentlich gar nicht richtig gepasst hätte, handelte es doch von Schneeflocken und Liebe. "Ich spreche halt Russisch und habe es verstanden", setzt er mit einem beinahe entschuldigenden Lächeln hinzu. Am darauffolgenden Abend wird der junge Freiburger übrigens selbst auf der Bühne stehen, bei der Tanzperformance "Melting Spots to Dance with". Ein solcher Perspektivenwechsel gehört beim Rampenlichter-Festival eben mit dazu.

Aus 55 Bewerbungen hatten Alexander Wenzlik und seine Mitarbeiter in diesem Jahr auszuwählen. Eines der wichtigsten Kriterien auch bei der neunten Ausgabe des Festivals: Die jungen Kreativen sollten tatsächlich an dem künstlerischen Prozess, an der Entwicklung von Texten, Choreografien, Musikstücken, an Bühnenbild und Maske sowie Ton- und Lichttechnik beteiligt gewesen sein, auf der Bühne erkennbar ihre eigene Sprache und Ästhetik präsentieren. Die direkte Verknüpfung von jungen Tänzern und Schauspielern mit oft gleichaltrigen Schülern im Publikum hat sich in den vergangenen Jahren bewährt - das Schulklassenprogramm am Vormittag ist inzwischen so umfangreich, dass es sogar ein eigenes Programmheft füllt. Natürlich sind die jungen Darsteller noch keine Profis. Aber Inszenierungen wie etwa "Liebe Kitty" des Piccolo Theaters aus Cottbus zeigen auf beeindruckende und zugleich berührende Weise, warum es sich lohnt, den Stücken mit und vor allem von jungen Künstlern eine eigene Plattform zu geben: Das Schicksal der Anne Frank ist schon vielfach auf die Bühne oder auf die Leinwand gebracht worden. Doch wenn die alltäglichen Beobachtungen und Reflexionen zu ihrem Lebensumfeld, die Anne zwischen dem 13. und 15. Lebensjahr in ihrem Tagebuch festhielt, von ebenso alten Protagonisten vorgetragen und in Bewegung umgesetzt werden, erhalten sie eine bezwingende Authentizität, die sich den Zuschauern ganz unmittelbar mitteilt.

Rampenlichter, bis 29. Juli, Schwere Reiter, Dachauer Straße 114, Programm unter www.Rampenlichter.com

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