Jugendtheater:Mit den Waffen der Frauen

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Ein alter Konflikt schwelt zwischen zwei verfeindeten Gangs. Während sich die Jungen die Köpfe einschlagen, suchen die Mädchen nach einer Lösung. Die Gärtnerplatzjugend zeigt ihre Fassung von "Lysistrata" im Theater Leo 17

Von Barbara Hordych

Schon wieder!" seufzt eine junge Frau, als sie ihrem Freund das Blut von der Stirne tupft. Schon wieder - diese Schlägereien, dieser nicht enden wollende Krieg zwischen den beiden verfeindeten Jugendgangs. Da hilft nur eines: den Jungs zeigen, dass es so nicht weiter geht. Und wenn sie es partout nicht kapieren wollen, dann müssen halt härtere Maßnahmen ergriffen werden. "Frauen, verweigert euch!", gibt eine von ihnen, die forsche Lydia, als Parole aus. Und so kommt es, dass kurz darauf sechs junge Männer ratlos beieinander sitzen, auf ihre Smartphones starren und feststellen: "Die Weiber gehen nicht an ihre Handys!" Und überhaupt: Wo stecken ihre Freundinnen eigentlich?

"Ich habe den Teilnehmern beim Kennenlerntreffen im Januar die erste Szene aus Aristophanes' Stück "Lysistrata" kopiert, ohne Titel, so dass sie gar nicht wussten, um welchen Text es sich handelt", erzählt Susanne Schemschies, die seit dieser Spielzeit das Junge Gärtnerplatztheater leitet. Damit niemand den 2000 Jahre alten Stoff identifizieren konnte, änderte sie die Namen der Akteurinnen - die Titelheldin Lysistrata benannte sie etwa in Lydia um. "Ich wollte unbedingt eine antike Stückvorlage - die Themen sind ja immer noch aktuell", sagt Schemschies. Ursprünglich spielt Aristophanes' Komödie während des Peloponnesischen Kriegs, zwischen 430 und 400 v. Chr., zu einer Zeit also, da der Krieg zwischen Athen auf der einen und Sparta auf der anderen Seite schon zwanzig Jahre im Gang ist. Die Athenerin Lysistrata - ihr Name lässt sich mit "Heerauflöserin" übersetzen - trifft sich mit der Spartanerin Lampito. Gemeinsam beschließen sie, die Frauen beider Lager auf die einzig effektive Maßnahme, die ihnen zur Verfügung steht, einzuschwören: Sie wollen sich ihren Männern so lange verweigern, bis endlich Frieden ist.

Auf die Jugendlichen des Spielclubs - neun Mädchen und sechs Jungen im Alter von 14 bis 19 Jahren - wartete allerdings noch eine Menge Arbeit, bevor sie mit den Proben beginnen konnten. "Ich forderte sie auf, das Ganze in ihre eigene Sprache zu übersetzen und die Szenen so zu übertragen, dass sie in die heutige Zeit passen". So wurden aus Lysistrata und Lampito zwei junge Frauen, die einmal beste Freundinnen waren. Nun aber stehen sie sich durch ihre Freunde, Mitglieder rivalisierender Gangs, feindlich gegenüber - oder zumindest sollten sie das.

"Was will denn die hier!" rufen die Athenerinnen empört der zögerlich herantretenden Spartanerin entgegen. Es ist eine der letzten Proben vor der Premiere von "#LYDIA_theEND", die am Freitag im Schwabinger Theater Leo 17 stattfinden wird. Doch Lydia überzeugt ihre Gefährtinnen: "Wir brauchen sie!" Vor allen anderen versichern sich die beiden Akteurinnen erneut ihrer alten Freundschaft und versprechen einander, die "Mädels" auf ihrer jeweiligen Seite dazu zu bringen, beim Liebesstreik mitzumachen. "Wir müssen sie ignorieren, sie hören uns sowieso nicht mehr zu, sie respektieren uns nicht", rufen alle gemeinsam im Chor auf der Bühne.

Kaum hatten die Mitwirkenden sich "durch die Schreibwerkstatt gekämpft", wie Susanne Schemschies erzählt, sollten sie sich überlegen, an welche Stelle ihrer Textfassung ein Lied passen könnte. Denn in der Neufassung wird nicht nur gespielt, sondern auch gesungen und getanzt. "Alle Teilnehmer sollten zwei Lieder mitbringen und performen: eines, das sie mögen, und eines, das sie grauenhaft finden". Die Aussicht, ein solches Lied alleine, nur begleitet vom musikalischen Leiter Andreas Partilla, vortragen zu müssen, fungierte als Auswahlkriterium. "Ich musste niemandem sagen, du darfst hier nicht mitmachen - diejenigen, die mit zwei Liedern wiederkamen, blieben auch dabei." Durchhaltevermögen war auch bei den Proben jeweils am Freitagnachmittag und am Samstagvormittag gefragt. "Das verlangt den jungen Leuten schon einiges von ihrer Freizeit ab, da kann ich ihnen nur Respekt zollen", sagt der Tänzer und Choreograf Alan Brooks, der zu dem Projekt stieß, sobald die Textfassung stand.

Derweil tragen die sechs Jungs auf der Bühne lauthals ihre Version von Grönemeyers Frage: "Wann ist ein Mann ein Mann?" vor - dazu martialische Posen einnehmend, wie man sie von antiken Heldenstatuen und Münzprägungen her kennt. Das ist witzig, selbstironisch, und entbehrt dennoch nicht der Ernsthaftigkeit. Schließlich ist es eine Geschichte, die mitten hinein in das Unglück des Kriegs führt. "Euer Rivalitätsscheiß hört auf, oder wir sind weg!" hauen Lydia und ihre Freundinnen den Jungs jetzt um die Ohren. "Boys don't cry" ermahnen die sich daraufhin gegenseitig in einem der nächsten Songs. Eine Devise, die für den 16-jährigen Henri ganz besonders gilt: hat er sich doch beim Fußballspielen am Knöchel verletzt. So dass er zu den letzten Proben mit Krücken erschien. Die stehen mittlerweile zwar schon wieder zu Hause. Und Henri beteuert, zur Premiere wieder fit zu sein, weshalb nichts "umchoreografiert" werden müsse. "Man spürt einfach, dass die Leute freiwillig hier sind, das gibt dem Projekt eine wahnsinnig positive Energie", kommentiert Brooks erfreut.

Doch als es jetzt an die Probe der Trommelsequenz geht, mit der die Darsteller ihr Spiel eröffnen, darf Henri nur "markieren", ermahnt ihn Brooks. Auf zwei Seiten knien sich die Jugendlichen gegenüber, jeder vor einer großen Blechtrommel, auf die sie mit ganzer Wucht hauen, während sich einzelne Tänzer aus den beiden Reihen lösen, aufeinander zutanzen, umeinander herumwirbeln, einander in Hebefiguren in die Luft stemmen. Sie alle sind schwarz-weiß gekleidet, "das war meine einzige Vorgabe für die Kostüme", sagt Susanne Schemschies. Nur ein einziges Accessoires sticht auf der Bühne hervor - ein leuchtend blauer Schal, den sich die Mädchen abwechselnd nach jeder Szene um den Hals drapieren. "Das ist das Signal dafür, dass die jeweilige Darstellerin jetzt die Rolle der Lydia übernimmt", erklärt die Regisseurin. Doch ganz egal, welche der vielen Lydias zum Zuge kommt - man darf sicher sein, dass alle an einem Strang ziehen.

#LYDIA_theEND , ab 12 J., Fr., 3. Juli, 19.30 Uhr und So., 5. Juli, 18 Uhr, Theater Leo 17, Leopoldstr. 17, 21 85 19 60

© SZ vom 01.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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