Johanna Spyris "Heidi":Heidi, deine Welt ist der Ruhrpott

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Ein Germanist behauptet, Johanna Spyri habe sich bei der Erschaffung der Alpenikone Heidi von einem Rheinländer inspirieren lassen. Die Schweizer sind empört.

Kaum ist die große Aufregung um Helene Hegemann und die unfreiwillige Hilfestellung eines Bloggers bei der Entstehung ihres Romans Axolotl Roadkill etwas abgeflaut, trifft es nun eine Dame aus der benachbarten Schweiz - auch wenn ihr selbst das ziemlich egal sein dürfte: Johanna Spyri, im Jahr 1901 verstorben und bis heute geliebt für die Erfindung ihres Alpenmädchens Heidi soll sich auch ein wenig Inspiration von einem Autoren-Kollegen geholt haben - und zwar ausgerechnet von einem Deutschen.

Bis heute zieht der Mythos vom Schweizer Waisenkind Heidi Touristen aus aller Welt in die Alpen, um sich vor malerischer Bergkulisse und grasenden Kühen im "Heididorf" Maienfeld ablichten zu lassen - doch der Mythos ist angekratzt. (Foto: Foto: AFP)

"Die Ur-Heidi"

Bis heute zieht der Mythos vom Schweizer Waisenkind Heidi Touristen aus aller Welt in die Alpen, um sich vor malerischer Bergkulisse und grasenden Kühen im "Heididorf" Maienfeld ablichten zu lassen. Dort verfasste die Schriftstellerin Johanna Spyri vor 130 Jahren ihren Welterfolg, doch ihr Ruhm ist angekratzt: Zur Empörung vieler Schweizer will der in Zürich lebende deutsche Germanist Peter Büttner herausgefunden haben, dass sich die Autorin von einer deutschen Vorlage zu ihrem 1880 erschienenen Werk inspirieren ließ.

Büttner spricht nicht von Plagiat, verweist aber auf deutliche Parallelen zu einer Art "Ur-Heidi" - einer 50 Jahre zuvor erschienenen Erzählung mit dem Titel Adelaide, das Mädchen vom Alpengebirge. Die Geschichte von Adelaide, auf die Büttner eher zufällig bei Recherchen in Frankfurt stieß, stammt von dem rheinländischen Autor Hermann Adam von Kamp. Es sei ihm gleich "dieselbe Erzählstruktur aufgefallen", sagte Büttner. Bereits 1830 habe Kamp von dem kleinen Mädchen Adelaide erzählt, das bei seinem Großvater in den Bergen aufwächst, aus der Heimat fort muss, schrecklich darunter leidet und schließlich doch wieder zurückkehren darf. Hier sei bereits die Handlungsstruktur aus Heidis Lehr- und Wanderjahren zu erkennen, sagt er der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ).

Ungenaue Motive, allgemeine Gemeinsamkeiten

"Ich sage nicht, dass Spyri abgeschrieben hat", betont der Literaturforscher. "Aber ich gehe davon aus, dass sie den Text kannte und sich davon hat inspirieren lassen." Bei seinen Recherchen sei er in beiden Texten auf ähnlich verwendetes Vokabular gestoßen. Auch die Vornamen Adelaide und die davon abgeleitete Koseform Heidi ließen den Germanisten aufhorchen. In der Schweiz hat Büttner mit seiner These eine Welle der Empörung losgetreten. Die ähnliche Wortwahl beider Werke sei der damaligen Zeit geschuldet, heißt es unter anderem im "Heididorf" in Graubünden.

Die seriöse Neue Zürcher Zeitung zerpflückt sorgsam jeden Beleg, den der deutsche Forscher zur Untermauerung seiner These vorbringt. Kritisiert werden die ungenauen Motive und zu allgemeine Gemeinsamkeiten der beiden Mädchen. Figuren wie der Geissenpeter oder die beiden Großmütter fehlten völlig, so die NZZ. So wird darauf verwiesen, dass Spyris Heidi den zehnfachen Umfang der mutmaßlichen Vorgängerschrift aufweist. Und dass wie Adelaide und Heidi auch zum Beispiel die Kinderbuchheldin Pippi Langstrumpf gern hüpfe und springe. Eine einzige auffällige Übereinstimmung lässt die NZZ gelten: Es ist die Stelle, in der beide Mädchen vom Großvater Geld geschenkt bekommen und beide aus dem selben Grund ablehnen, weil sie sich von der Verantwortung überfordert fühlen.

Anders als Spyri, nach der in der Schweiz Straßen benannt sind, geriet von Kamp nach seinem Tod im Jahr 1867 in Vergessenheit. Erst die These des deutschen Germanisten lenkt das Augenmerk wieder auf das Werk des Mannes, das in Mülheim an der Ruhr verwaltet wird. Büttner bemüht sich derweil, den Sturm der Entrüstung zu besänftigen, den er entfacht hat. Keinesfalls, so betont er, habe er "den Schweizern ihre Heidi wegnehmen wollen".

© sueddeutsche.de/AFP/nvm/kar - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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